Dumm nur….

Mich erstaunt immer wieder das duale Weltbild, das viele Menschen für sich beanspruchen. Da gibt es nur weiss und schwarz, gut und böse. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts gegen eine einfachere Sicht der Dinge. Immerhin leben wir in einem Land der Meinungsfreiheit. Problematisch empfinde ich allerdings drei Aspekte. Erstens: Wenn die von mir Angesprochenen versuchen, Andere lautstark von der Richtigkeit ihrer Gesinnung zu überzeugen. Zweitens: Wenn sich eben Solche gegenüber anderen Standpunkten als ignorant und bisweilen gar suppressiv erweisen. Drittens: Wenn ich nun diesen Menschen in der Sauna gegenüber sitze und eigentlich meine Ruhe haben will.

Und da bin ich auch schon auf das nächste, viel weitreichendere Problem gestoßen: Das duale Weltbild („dual“ kann hier übrigens durchaus auch als Synonym für stark simplifizierend gelten) gipfelt tragischer Weise letztendlich oft in einer groben Fehlinterpretation der tatsächlichen gesellschaftlichen Konditionen und Verhältnisse. Nehmen wir ein Beispiel aus der Praxis. Eine Gruppe von Männern (55-70 Jahre) sprach einmal angeregt über das Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit. Aufgrund des sich mir aus ihrem Gespräch erschließenden Inhalts, konnte ich, zumindest rudimentär, auf ihre jeweiligen biographischen Hintergründe schließen. So waren die Männer allesamt Rentner, hatten jedoch zuvor handwerkliche Berufe ausgeübt. Nun erzählte einer von ihnen sehr aufgebracht, dass es Hartz IV-Empfängern viel zu gut ginge. Alle anderen bejahten dies und steigerten sich daraufhin sehr emotional in dieses Thema hinein, dessen Tenor ich an dieser Stelle kurz illustrieren möchte: Allen arbeitslosen Menschen geht es besser als uns. Die kriegen zu viel. Warum sind wir überhaupt jemals arbeiten gegangen? Ach ja: Ironischer Weise berichteten einige der Männer später noch von anstehenden Fernreisen – womit sich tendenziell diese Frage eigentlich von selbst beantwortet haben müsste, hätten diese Leute, was ihr eigenes Luxusverständnis angeht, keinen „blinden Fleck“ ausgebildet, der ihnen jegliche Wahrnehmung dahingehend verschleiert.

Haben Sie sich, liebe Leser, nun vielleicht einmal die Mühe gemacht, solche Menschen von der Vielschichtigkeit der Dinge, ja über eine gwisse Grundidee von dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu ‚informieren‘? Richtig! Nein. Das bringt auch nichts, denn gegen Ignoranz und auch Dummheit ist ja bekanntlich noch kein Kraut gewachsen. Ja ich habe es gesagt – das böse Wort: Dummheit. Es gibt auf unserer Welt noch dumme Menschen und Sie werden sich wundern: Sie (diese A-B’ler) sind in der Mehrzahl und einige von ihnen überfluten uns sogar mit ihren Pseudo-Weisheiten, die manchmal in Vorurteile und andere Verblendungen münden. Hier ein paar Spielarten:Vegetarier leben ungesund, Ausländer sind nicht gut, Ich war es nicht, Früher war alles besser usw.

Heutzutage darf man das garnicht mehr sagen, glaube ich, dass es noch dumme Leute gibt. Seltsam… Die Jüngeren unter Ihnen können sich vielleicht daran nicht mehr erinnern, aber früher, da gab es noch Schulen, wo man kein Abitur machen konnte. Diese Institutionen wurden auch nicht stigmatisiert so wie heute, nein. Man nannte sie übrigens Haupt- oder Realschulen. Komisch, dass sich die Eltern unserer Eltern noch mit einer nicht-akademischen Laufbahn ihrer Sprößlinge abfinden konnten, während heutzutage jeder sein Kind für den intelektuellen Überflieger und späteren Frauenschwarm mit Porsche Carrera S vor der Haustür hält. Ja – damals hatte ‚Mann‘ noch Haare auf der Brust, ‚Frau‘ wurde man erst nach Fräulein und wenn schulische Leistungen des Sohnes oder der Tochter mal durchschnittlich waren: Who the f… cared?

So wuchsen unsere Eltern in einem bildungs-fatalistischen Klima der Extraklasse heran. Klar: Damals haben auch schon einige gewusst wie’s geht und studiert – ganz aus eigenem Antrieb. Die verstanden es zu revoltieren und ordentlich was in Sachen Emanzipation zu tun – ok. Aber gerade diejenigen, die sich ohne höhere Schulbildung gemächlich in den damals noch sicheren Schoß einer Ausbildungsstelle begaben – oder die eben einfach ‚zu doof‘ zum Studieren waren – die begegnen uns heute doch mit den Worten: Das war damals so. Da hat man nicht studiert. Anders formuliert: Durchschnittlichkeit und Dummheit hatten damals noch ihren festen gesellschaftlichen Stellenwert und wurden akzeptiert, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, ab dem dann die 68er selber Papas und Mamas wurden und plötzlich meinten, ihre eigenen Bildungslücken mit sinnlos langen akademischen Schulkarrieren ihrer Kinder stopfen zu müssen…

Nochmal zurück zu unserem Ausgangsthema: Wenn aus Dummheit eine Meinung erwächst. Jetzt sagen Sie wahrscheinlich: Das gab’s schon immer und das wird’s wohl auch immer geben. Gut – das habe ich akzeptiert. Dieses gesellschaftliche Phänomen existiert tatsächlich schon sehr, sehr lange und spiegelt sich auch medial in den kunterbunten Schlagzeilen der Yellow Press wider. Gefährlich wird’s aber da, wo subjektive Befindlichkeiten zu objektiven Tatsachen verdreht werden und in scheinbar gut recherchierte Nachrichtensendungen als Fakten einfließen. Ja, ja -da ist es wirklich schwer, sich und seinen Kindern noch die echte Mündigkeit und Autonomie im Sinne Adornos zu bewahren…

Das Gespräch dieser alten Männer zeigte mir einmal mehr auf erschreckende Art und Weise, was geschieht, wenn wir unser Wissen (oder das, was davon noch übrig bleibt) aus den kollektiven Breitbandmedien nähren, die ja bewusst mit der Angst der Menschen kalkulieren und spielen. Denn alles, was diese alten Herren aus meinem Beispiel über ein eigentlich wichtiges gesellschaftliches Problem wiedergeben konnten, hatten sie aus einem medialen Mischmasch der BILD-Kategorie aufgesogen, der ihnen zwar eine Meinung, aber kein Wissen verschaffte. Sie wussten davon natürlich nichts und wähnten sich im Lichte ihrer Schein-Erkenntnis – wie schade eigentlich.

Kleines Intermezzo am Rande: Müssen die Schlagzeilen einer Nachrichtensendung wirklich immer mit dramatischer Pseudo-Hektik-Wichtig-mach-Musik hinterlegt werden? Will ich wirklich in den Acht-Uhr-News (nannte man früher Tagesschau) erfahren, dass in China ein Panda-Baby auf die Welt kam? Kurz: Will ich so enden wie diese und Millionen anderer Menschen? Nein – aber wir alle werden immer wieder mit solchen Emo-Attacken der Sendeanstalten und Verlage bombardiert, bis wir genau das glauben. Wie süüüüß, nicht wahr?

Zugegeben: Kein Mensch kann alles wissen. Worum es mir geht, ist es, ein Plädoyer zu halten für die genaue Selektion der Quellen, aus denen man sein Wissen bezieht. Auch Klatsch-Magazine haben ihren Stellenwert, ich darf ihnen nur nicht das Attibut zu sprechen, objektiv-wahr zu sein. Wo nämlich journalistischer Gossip oder einfach nur schlecht recherchierte Berichte, zu stark an Bedeutung gewinnen, bleibt Wesentliches verschleiert und Scheinwissen wird zur Realität verklärt. Auf unser Beispiel mit den älteren Herren bezogen heisst das: Diese Menschen haben nicht verstanden, dass sie von dem, was sie da sprechen, eigentlich gar keine Ahnung haben, weil sie es versäumt haben, in ihrem Leben auf die richtigen Quellen zurückzugreifen. Und das ist nun leider wirklich dumm. Wie treffend hat das Jan Hegenberg mal in einem seiner Songs formuliert, dem ich mich an dieser Stelle nur brav anschließen kann:

„Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten!“ Recht hat er…

Was bleibt?

Ich habe heute beim Aufräumen einer großen Mehrzweckhalle geholfen. Diese Halle hatte über Jahre hinweg ein alter Herr betrieben, der allerdings nun die Diagnose Pankreas CA, kurz Bauchspeicheldrüsen-Krebs, gestellt bekam. Daraus ergibt es sich, dass er diese Halle, die er sein ganzes Leben lang hegte und pflegte, nicht mehr länger als Hausmeister übernehmen kann. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag und er hat wohl nur noch einige Wochen zu leben.

Der Vermieter, eine große Wohnungsbaugesellschaft, hat auch kein Interesse daran, das Objekt zu erhalten. Daher wollten wir, eine Truppe von 5 Mann, diesem Mann helfen. Schnell und unentgeltlich. Unglaublich, was sich da in den letzten Jahrzehnten an allerlei Dingen angesammelt hatte. Irgendwie könnte ich niemals so etwas wie Haushaltsauflösungen verantworten. Man hat das seltsame Gefühl, ein ganzes Leben zu negieren… Das wirklich Schlimme daran ist, dass jede Kleinigkeit, jedes Bild, dem alten Mann etwas bedeutete und man (also ich) es dennoch einfach entsorgen und wegwerfen musste. Alle Sinnhaftigkeit, alle Arbeit, alle Mühe – ausgelöscht…

Dieser Mann, dessen ganzes Leben bestimmt war von seiner Arbeit, wird Zeuge davon, dass ein entscheidendes Element seiner Existenz, einfach „dekonstruiert“ wird. Kafka sagte treffend: „Das eigentlich Charakteristische dieser Welt ist ihre Vergänglichkeit.“ Aber die direkte Konfrontation mit ihr, macht uns schwach und reisst uns aus jeglichem Omnipotenz-Wahn.

Was bleibt also? Es bleibt, so denke ich, der Eindruck von Jemandem, die Erinnerung an ihn, die gut oder schlecht sein kann. Natürlich verblasst diese und löst sich auf – nach und nach. Das ist es wohl, mit was wir zurecht kommen müssen: Dem Bewusstsein unserer Endlichkeit…

Wer weiß
Wir kommen, wer weiß, woher.
Wir gehen, wer weiß, wohin.
Wir sind wie die Welle im Meer
allein und doch darin.
Wir sind wie das Licht ein Teilchen
und ebenso ein Strahl.
Wir sind auf der Erde ein Weilchen
und vielleicht ein ums andere Mal.
Wer weiß, woher wir gekommen,
wer weiß, wohin wir gehen?
Es bleibt für uns  verschwommen,
bis wir selbst am Ende stehen.

Renate Eggert-Schwarten