The Purge: Anarchy – Eine kleine Filmkritik

Gestern habe ich mir im örtlichen Cinestar „The Purge: Anarchy“ angesehen. Die Fortsetzung des im Jahr 2013 so erfolgreich durchgestarteten Teil eins – damals noch mit Ethan Hawk und Lena Headey in den Hauptrollen – kann sich meines Erachtens nach durchaus sehen lassen. In einer Zeit, in der eine alljährliche „Säuberung“ von einer Regierung erlaubt, ja sogar gewünscht ist, wird für eine Nacht jegliche Form von Moralität außer Kraft gesetzt. Und eben diese permanente Bedrohung ist es, die den Zuschauer von der ersten Minute an in eine Atmosphäre der Angst hineinwirft und ihn durch einen metertiefen Sumpf von Gewalt und Hass warten lässt. So bedient sich der Film wohlbekannter Elemente à la „Running Man“ und auch an den ein oder anderen Zombie-Streifen musste ich durchaus öfter denken.

Aber dennoch ist es vielmehr die gesellschaftliche Dimension, das Schranken-fallen-lassen-für-eine-Nacht, die dem Streifen sein Eigenleben verleiht. Eine Regierung, die die Armen tötet, die das Töten selbst als „Säuberung“ deklariert, da werden gewisse Parallelen zu zeitgeschichtlichen Ereignissen spürbar. Denn wo jeder für eine Nacht lang gottgleich über Leben und Tod bestimmen kann, dort wird das menschliche Biest entfesselt und wütet ganz unverhohlen zum Wohle des Systems, das jene, die scheinbar ihre Freiheit ausleben, doch nur als Sklaven für seine Zwecke verwendet.

Die grausame Dekadenz, die selbst beim Tötungsritual noch Klassenunterschiede erwachsen lässt, betont das Irrspiel, dessen Akteure sogleich Täter und Opfer sind. Denn während die Armen um ihr Leben fürchten, lassen sich die Reichen ihre elesenen Opfer quasi nach Hause liefern, um sie dann im trauten Heim abzumetzeln. Frei Nach Oscar Wilde: Jeder von uns ist sein eigener Teufel und wir machen uns diese Welt zur Hölle. Fazit: Nicht gerade tiefgründig, nichts was man mit der Realismus-Brille analysieren sollte, aber durchaus sehenswert und kein Sujet für weichgespülte Soap-Fans.

Berlin calling

An dieser Stelle wieder einmal eine kleine Filmkritik meinerseits. Letzten Freitag strahlte Einsfestival den Film Berlin Calling mit Paul Kalkbrenner alias Ickarus (mit „ck“) aus. Ickarus, aka Martin Karow, ist ein Berliner Elektrokomponist, der um die Welt tourt und immer mehr seinem Drogenkonsum verfällt. Letztlich diagnostiziert ihm die Ärztin Prof. Dr. Petra Paul (Corinna Harfouch) drogeninduzierte geistige Verwirrtheit. Martins Leben wird in seinen Grundfesten erschüttert, der groß angekündigte Release-Termin für sein neues Album scheint in Gefahr.

Nach einem mäßigen Fernsehabend hat mich dieser Streifen völlig in seinen Bann gezogen: Neurotisches Großstadt Feeling, Berlins neue elektronische Avantgard mit viel Gefühl, Drogen und Sinn für Haus(ouse)musik. Kalkbrenner verkörpert den neurotisch-dümpelnden Künstler hervorragend und lässt den Zuseher teilhaben an seinem morbiden Innen- und Außenleben. Nicht zuletzt durch seine einfühlsamen musikalischen Untermahlungen wird dieser Film zur stimmungshaften Momentaufnahme Berliner Jugendkultur – im Schatten des Brandenburger Tores und pseudo-intellektuellen Polit-Gewäschs. Meisterhaftes junges deutsches Kino, das den Beweis dafür liefert, dass Sentimentalität auch in einer von Bässen durchzuckten Industrial-Szenerie nicht zu kurz kommen muss.

Einige weitere Kritiken:

„Auch das lebendige Gefühl von Authentizität, das sich vor allem bei den an Originalschauplätzen während regulärer Partys gedrehten Clubaufnahmen einstellt, unterscheidet „Berlin Calling“ von manchen genreverwandten Werken.“ Spiegel Online (Christoph Cadenbach)

„Paul Kalkbrenners wunderbarer Soundtrack spricht eine andere Sprache. Vielleicht ist es der sentimentalste Techno aller Zeiten, aber er liefert dem Film eine nuancierte emotionale Struktur. Und Kalkbrenners zurückgenommenes Schauspiel ist dem ebenbürtig. Aber auch Rita Lengyel als Freundin Mathilde ist nicht zu übersehen. Sie ist ebenso glaubhaft in ihrem Zustand konservierter Mädchenhaftigkeit.“
– Frankfurter Rundschau (Daniel Kothenschulte)

Musik: Paul Kalkbrenner
Kamera: Andreas Doub
Buch und Regie: Hannes Stoehr