Sondieren geht übers Regieren

Die Ergebnisse des „Sondierungs-Marathons“ von CDU und SPD machen deutlich: Jene, die sich anschicken, die Bundesrepublik Deutschland in Zukunft zu regieren, sind nicht nur plan-, sondern auch völlig visionslos. Dabei geht es keineswegs um die wahnhaften Visionen, auf die sich Helmut Schmidt bezog, als er einst meinte, der, der Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Vielmehr geht es um ein Konzept, das die gesellschaftlichen Veränderungen ernstnähme – und zwar mit allem, was dazugehört. Digitalisierung, Automatisierung, Klimawandel, Entschärfung der Agenda 2010 und Nato-Austritt: All das wären Eckpfeiler einer solchen Agenda gewesen, wenn da eben nicht jene Engstirnigkeit, Egomanie und Machtversessenheit der Industrie-Sprecher wären, die sich als Politiker bezeichnen.

Statt des großen gesellschaftlichen Ganzen ging es, wie sollte es auch anders sein, wieder mal um ein machtpolitisches Klein-Klein, um ein Weiter-so, nur eben mit einer größeren Mannschaft. Allein die Spielführer haben sich nicht geändert: Während Merkel und Seehofer sich weigern, den Ball abzugeben, begnügt sich die SPD mit ihrer Rolle als Auswechsel-Crew auf der Ersatzbank – inklusive Gejammer und Leidensmiene. Die Sozis führen die Sozialdemokratie damit endgültig in eine neoliberale Abseitsfalle, fernab von sozialer Gerechtigkeit und dem, was die Sozialdemokratie so stark gemacht hat. Daran haben auch die Sondierungsgespräche nichts geändert, denn summa summarum konnte die CDU all ihre Vorhaben durchsetzen, die da lauten: Spitzensteuersatz einfrieren, de facto Obergrenze einführen, Bürgerversicherung verhindern und die Erreichung der Klimaziele bis 2020 aufweichen.

Auch kleinere Augenwischereien – wie die Einführung der Grundrente (von der niemand leben kann), der halbseidene Erhalt des Rentenniveaus bis 2025 und die Abschaffung des Soli – vermögen am neoliberalen Kurs nichts zu ändern und sind die sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein, die schneller verdampfen werden als Martin Schulz „GroKo“ sagen kann.

Neben allem innenpolitischen Geplänkel benötigte es dringend außenpolitischen Weitblick. Denn in einer Welt, in der die Krisenherde täglich mehr befeuert werden und sich Deutschland alleine schon aufgrund seiner geostrategischen Lage im permanenten Spannungsfeld zwischen einer hegemonialen Weltmacht – namentlich den USA – und einem krisengeschüttelten Nahen Osten befindet, würde ein klares Bekenntnis zur Abrüstung und der damit verbundenen Annäherung an Russland Not tun.  Doch auch davon ist auf den 28 Seiten Sondierungs-Gequassel nichts zu finden.

Man wird den Verdacht nicht los, dass es bei dem, was dem „Volk“ als hart erkämpfte Ergebnisse verkauft wird, um Mechanismen der Machtsicherung geht und nichts weiter. Würde ein Arbeitnehmer so arbeiten, sich so viel Zeit lassen und bei seinem Chef schließlich mit so wenig Inhalt dastehen, flatterte ihm wohl unweigerlich eine Abmahnung ins Haus, während die Herren und Damen der zukünftigen Bundesregierung sich noch immer über satte Diätenerhöhungen freuen dürfen.

Was bleibt also, außer einem enttäuschten Blick in die Zukunft? Die Erkenntnis, dass das parlamentarische System, so wie wir es kennen, versagt hat. Solange sich Eliten mit aller Macht und mit den abenteuerlichsten Farbkombinationen Mehrheiten sichern können, solange wird der Wählerwille weder respektiert, noch ernstgenommen werden. Das wird sich auch in den nächsten vier Jahren nicht ändern – leider.

Foto: spiegel.de

SPD-Parteitag: Ergebnisoffen war hier nichts

Wenn ich ein Wort schon jetzt nicht mehr hören kann, dann die Floskel „ergebnisoffen“. Denn dieses leere Sprachetikett zeigt inhaltlich lediglich, wie sehr sich die deutsche Sprache biegen und brechen lässt. Was hier suggeriert werden soll, ist die Existenz eines Entscheidungsraums, den man seitens SPD-Führung garnicht erst betreten wollte. Mehr noch, der Verhandlungsprozess zwischen Schulz und Merkel war und ist so wenig ergebnisoffen, dass man ihm mit einem neuen Begriff, der aus einer Management-Schulung stammen könnte, versuchte, ein flexibleres Image zu verleihen. Ergebnisoffen, diese Vokabel verströmt den Duft von Aktivität, genau so, als wenn die SPD ob ihres dramatischen Wahlverlustes überhaupt eine andere Möglichkeit als das GroKo-Double gehabt hätte, zumindest wenn sie an der Macht bleiben will. Und ja, das will sie doch so sehr.

Wissen Sie, sollten nicht alle Gespräche, sollte nicht jeglicher Diskurs innerhalb einer Demokratie ergebnisoffen sein? Sollte nicht jedes Parteienbündnis zunächst seine inhaltlichen Schnittmengen prüfen und erst danach eine politische Liaison eingehen, ganz ergebnisoffen eben?

Nur dann, wenn diese Grundfesten erschüttert werden, dann werden solche neuen Sprachmonster geboren. Im Casus SPD erblickte das Wort ergebnisoffen das Licht der Welt, nachdem Schulz, entgegen seiner ursprünglichen Aussage von der GroKo-Absage, eine erneute GroKo mit der schwarzen Seite der Macht in Erwägung zog. Beispiele dieser sprachlichen  Wrong Friends gibt es viele: Freihandelsabkommen, die alles andere als den freien Handel regeln, der Neoliberalismus, dessen Ziel der Machterhalt weniger Eliten und nicht die Freiheit bzw. die Liberalität der Vielen ist und so fort. Die Funktion dieser Schablonen ist einzig und allein die systematische Verschleierung den diesen Wörtern innewohnenden wahren Motiven.

Im Falle des Martin Schulz wird dessen Verschleierungstaktik übrigens auch ohne Sprachkrücken besonders deutlich. Nicht nur, dass dieser einstige EU-Aristokrat einen miserablen Wahlkampf hinlegte, der ihn eigentlich den Parteivorsitz hätte kosten müssen, nein: Er verkaufte seine Wählerschaft für dumm, in dem er vorgab, sich für jene soziale Gerechtigkeit einzusetzen, deren Basis er und seine Genossen erst aufgeweicht hatten. Mehr noch: Martin Schulz und die gesamte Führungsriege der SPD logen, als sie am Wahlabend kategorisch ein Schwarz-Rotes-Bündnis ausschlossen. 

Aber gut: Wie bitteschön hätte die Oppositionsarbeit der SPD auch ausgesehen, wo sie ihr quasi-parasitäres Dasein ohne die CDU doch garnicht mehr fristen kann? Der Schritt zur GroKo lag da näher, denn so flieht man zumindest für die nächsten vier Jahre vor der schmerzenden Wahrheit, dass die SPD aufgrund ihrer Profillosogkeit längst unnötig geworden ist. 

Einzig die Jusos rebellieren verhalten. Doch wenn diese erst einmal den süßen Nektar der Macht gekostet, und sich mit dem System arrangiert haben, dann werden sich auch deren utopische Träume zwischen den Stühlen von Ministerposten und Dienstwagen auflösen.

Ergebnisoffen, so viel ist sicher, ist der Schritt zum GroKöchen nicht. Es geht um die strategische Sicherung der machtpolitischen Zukunft einer Partei, die einst für die Interessen des kleinen Mannes eingetreten war. Diese Motive hat sie nicht nur aufgegeben, sondern verraten. Martin Schulz wird also doch in die Geschichte eingehen, nicht als Kanzler, vielmehr als der Totengräber einer der ehemals größten Volkspartei Deutschlands.