Sellner: Mensch und Mythos

Nein, dieser Artikel will weder verharmlosen, noch ins gleiche Horn wie die Mainstream-Medien blasen, wenn es um den Österreicher Martin Sellner geht. Vielmehr möchte er ein realistisches Bild der Gemengelage rund um das Gesicht der Neuen Rechten zeichnen, ohne vorschnelle Vorverurteilung. Eine Skizze.

Der studierte Philosoph Sellner – Sellner hat tatsächlich einen Bacheleor-Abschluss, womit er schon weit mehr vorweisen kann als beispielsweise die Partei-Vorderen der Grünen – ist mit Brittany Pettibone verheiratet. Und ja: In seiner Jugend war Sellner tatsächlich in der Neo-Nazi-Szene aktiv, was er auch nie wirklich geleugnet hat. Dennoch distanziert er sich heute ganz klar von seinen damaligen Positionen, bezeichnet sie in vielen Interviews als „Jugendsünden“. Politisch aktiv war Sellner unter anderem in der Identitären Bewegung Österreichs, deren metapolitische Ausrichtung er konzipierte. Seine grundlagentheoretischen Positionen sind insbesondere von Armin Mohler und Alain de Benoist, aber auch Antonio Gramsci beeinflusst. Bis Anfang 2023 war Sellner Co-Chef der IBÖ. Als Redner nahm er außerdem an dem bekannten privaten Treffen in Postsdam am 25. November 2023 teil, wo er sein Remigrations-Konzept vorstellte:

Der Staat wird zum Werkzeug fremder ethnischer Blöcke, die ausländischen Interessen dienen. Meinen Einschätzungen nach ist dieser demographische Kippunkt dann erreicht, sobald ein Drittel der Wahlberechtigten aus nichteuropäischen, nichtassimilierten Migranten besteht.

Sellner, M.: Remigration, Ein Vorschlag, Antaios 2024, Seite 18.


Anmerkung: Um den Kontext komplett zu erfassen, gilt wie immer die Regel, dass man nur vollumfänglich mitreden kann, wenn man das Buch liest.

Sellner ist mit Leib und Seele Aktivist. Ein Mann der Straße und gleichzeitig ein  intellektueller Ideengeber, der mit seinen Identitären schon manche Propaganda-Aktion aufmerksamkeitsstark umsetzte. Er marschierte als IBW-Chef vorneweg, wenn es darum ging, Banner von Dächern im öffentlichen Raum herunterzulassen oder linke Theateraufführungen zu stören. Dabei ging er jedoch stets ohne Gewalt vor, sein Anliegen fest im Blick. Das ist Sellner der Medien-Profi, der alle Marketing-Kanäle nutzt – online und offline.  

Aktion der Identitären Bewegung in Berlin, ca. 2020, Quelle: Screenshot Youtube-Video

Als im Jahr 2019 der Attentäter Brenton Tarrant im neuseeländischen Christchurch über 50 Menschen tötet, ermittelt die Polizei auch gegen ihn, führt zwei Razzien in seinem Haus durch. Der Grund: Zwei Jahre zuvor hatte Dietz an die IBÖ eine Geldspende überwiesen. Sellner distanzierte sich öffentlich immer wieder von diesem „Verrückten“: „Meine Familie und ich wurden völlig grundlos in Verbindung gebracht mit diesem Terroristen und zwar nicht nur in Österreich, sondern weltweit. (…) Eine Razzia sollte eigentlich auf einen Verdacht aufbauen, diese Razzia hat einen Verdacht erzeugt. (Fellner! Live, OE24TV 2020).“

Martin Sellner bei „Fellner! LIVE im Interview“

Gleichzeitig ist Sellner aber auch eine zentrale Figur, wenn es um die programmatische Ausrichtung der Neuen Rechten geht. Und dies gelingt ihm theoriesicher, immer friedvoll und ruhig. Martin Sellners vorletztes Buch „Regime Change von rechts“ knüpft an die Tradition Cramscis an, an die Idee einer friedlichen „Reconquista“, also die „Rückeroberung“ der Köpfe durch mediale und inhaltliche Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Er ist zweifellos neben vielen anderen Autoren ein entscheidender Ideengeber für die Neue Rechte, er ist aber auch kein Messias. Oder vielleicht doch, wenn man die Wellen der deutschen Medien sieht, die über dem neuen Staatsfeind Nr. 1 zusammenschlagen.

Was Sellner mit vielen anderen Autoren inhaltlich versucht, ist das Nirvana der langen Theorielosigkeit auszufüllen, das die „alte Rechte“ charakterisierte. Während die Theorierückbindung der Linken ihnen seit den 1960ger Jahren massiv Wählerstimmen beschwerte und sie mit Adorno, Horkheimer und Habermas zum untrennbaren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte machte, vermochte eine politische Rechte ihre Agenda erst durch Menschen wie Kubitschek, Waldstein, Lichtmesz und eben Sellner rückgebunden und der Öffentlichkeit zugänglich zu formulieren, ihr einen grundlagentheoretischen Rahmen zu setzen. Obgleich man die altbraune Sauße längst nicht mehr schnabulierte und sich in seinen Positionen denen der Altparteien der 1980er angenähert hatte, galt und gilt man im Mainstream noch immer als radikal, obgleich die einzig radikale neurechte Forderung, wenn überhaupt, die Akzeptanz der Vielfalt des menschlichen Seins ist. Hierin unterschiedet sich Sellners Position elementar von der Tendenz der Linken zur Gleichmacherei, vom Hau-drauf-Duktus einer mit Hammer und Sichel geformten homogenen Gesellschaftsmasse, in der alles und jeder uniform im wahrsten Sinne des Wortes ist.

Dieser Martin Sellner war schon oft im Fernsehen zu Gast. Unter anderem im österreichischen Format „Fellner! Live“. Auch hier präsentierte er sich, anders als oftmals seine Gegenüber, ruhig und gelassen. War alles andere als das, was seine Feinde aus ihm machen wollten.  Martin Sellner ist nicht nur Aktivist, sondern auch Privatmann, Vater eines jungen Kindes. Er, der politisch Getriebene, hängt der Vision einer traditionsgeleiteten starken nationalen Gesellschaft nach. Setzt sich gegen Überfremdung und Islamisierung ein.

So viel zu den harten Fakten. Wer sich eingehender mit Martin Sellner und seinen Theorien befasst, der erkennt in ihm einen durchaus feingeistigen und tiefgründigen jungen Mann. Ihn als Rechtsradikalen zu bezeichnen, ihm diese Schablone überzustülpen, würde ihm keineswegs gerecht werden. Sellner vertritt, gerade auch in seinem neuesten Buch, rechte Positionen, diese sind aber keineswegs „gewaltverherrlichend“, im Gegenteil: Die Remigration muss nach Sellner absolut friedlich verlaufen, indem man für jene, die hier sowieso keine Bleibe-Perspektive haben, Ausreise-Anreize schafft. Von dieser friedvollen Absicht wollen allerdings die Mainstream-Medien nichts wissen, eine differenzierte Auseinandersetzung mit seinen Inhalten bleibt allenthalben aus.

Sellner, ein politischer Ziehsohn Götz Kubitscheks, ist längst zum Antichristen der links-woken Gutmenschen geworden. In Kubitscheks Autoren-Reihe nimmt er einen festen Platz ein, ist regelmäßig bei den Tagungen des Institus für Staatpolitik als Redner vor Ort. Schon 2020 bliesen die deutschen Behörden zu einer Offensive gegen ihn, der noch nie verurteilt wurde. Reiheinweise wurden online persönliche und Profile Sellners gelöscht. Der Sinn dahinter: Der rechte – wenn auch auf dem demokratischen Boden des Grundgesetzes stehende – Influencer Martin Sellner sollte aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden. Doch dieser Plan ging spätestens seit dem 10. Januar 2024 nicht mehr auf.

Martin Sellner auf einer Tagung des IfS, des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda (2023)

Damals zündete correctiv eine Pseudo-Bombe, „entlarvte“ ein sogenanntes „Geheimtreffen“ in Potsdam. Vergleiche mit der Wannseekonferenz wurden gezogen. Auch Sellner war da. Großes Drama in den steuerfinanzierten Medien. Doch Sellner machte das bekannter denn je. Die sogenannten Tatsachenbehauptungen von correctiv entpuppten sich später als Interpretationen – außer Spesen nichts gewesen. Dennoch entfachte die Meldung zunächst ein mediales Strohfeuer, das begierig von linksdrehenden, regierungskonformen Medien am Lodern gehalten wurde. Im Prinzip die beste Werbung für Sellners neuestes Werk: „Remigration. Ein Vorschlag“, erschienen bei Antaios:

Erklärtes Ziel (der Remigration, Anm. der Redaktion) ist es, die Anzahl der freiwilligen Ausreisen zu steigern und gleichzeitig die Rückkehrenden in der Anfangszeit nach Ankunft im Herkunftsland/Zielland zu unterstützen, was ihre `“Chancen auf eine nachhaltige Reintegration erhöht.“

Sellner, M.: Remigration, Ein Vorschlag, Antaios 2024, Seite 10.

In diesem kleinen Büchlein entwirft Sellner eine Skizze, die eigentlich als Blaupause einer sicheren und menschlichen Remigration fungieren könnte. Er wendet sich darin gegen einen fehlgeleiteten Ethno-Multi-Kulturalismus, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtet. Andererseits stellt er deutlich dar, wie sehr eine naive Willkommenskultur zu einem Gewaltimport führt sowie auch zum Phänomen des „Brain Drain“, also der Abwanderung der Bildungs-Eliten aus ihren Herkunftsländern. Für ihn ist eben dieser Brain Drain ein imperialistisches Machtinstrument der westlichen Welt, das langfristig weder zielführend, noch nachhaltig ist. Das Phänomen der „offenen Grenzen“ bringt obendrein den Verlust der nationalen Identität mit sich, zum Fremdfühlen im eigenen Land und zur Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse zugunsten sogenannter migrantischer Bevölkerungsschichten.  

Hätten die Zündler der Regierung dieses gelesen, hätten sie durchaus noch was lernen können. Über ein detailliertes menschliches Remigrations-Konzept, das stets im Rahmen des Grundgesetzes agiert, nie auch nur im Entferntesten etwas mit Deportationen zu tun hat.  Ganz im Gegenteil.

Doch sogar Nancy Faeser, die Fachfrau für die ganz große Regenbogen-Symbolik, ließ sich an, gegen Sellner – nochmal: einen unbescholtenen Mann, dessen politische Positionen man nicht teilen muss, der aber ansonsten nie verurteilte wurde – ein Einreiseverbot nach Deutschland zu erwirken. Aber Sellner wäre nicht Sellner, wenn er das nicht marketingtechnisch für  sich genutzt hätte. So kündigte er mit einem Augenzwinkern medial an, die Grenze zu Deutschland übertreten zu wollen, um in einem Passauer Café ein Stück Kuchen zu essen. Migration von der Alpenrepublik nach Deutschland sozusagen.

compact-Video

Die „Einreise“ wurde via Livestream übertragen. Sellner-Sympathisanten und -Hater gleichermaßen fanden sich an der Grenze ein. Sellner wurde von der Bundespolizei kontrolliert, mangels rechtlicher Handhabe jedoch einreisen gelassen. Deshalb verfügte das Ausländeramt Potsdam schließlich ein förmliches Einreiseverbot gegen ihn. Dieses besteht bis heute.

All das zeigt doch nur eines: Die Angst der Regierenden vor einem (!) Blogger, der nie verurteilt wurde. Welche Panik muss ein System haben, wenn es glaubt, in Zeiten von Social Media mittels Einreise etwas gegen diesen Menschen erwirken zu müssen. Im Prinzip führt Sellner das System vor und entlarvt seine ganze moraline Doppelbödigkeit. Denn während allein im Jahre 2023 127.559 aktenkundige illegale Migranten ganz ohne Probleme einreisen konnten, bewies Sellner, dass eine Grenzsicherung durchaus möglich wäre, wenn nur der politische Wille dazu vorhanden ist. Noch einmal. Martin Sellner ist für unsere Politiker ein Mittel zur showreifen Selbstinszenierung, eine Projektionsfläche, um den medialen Antichristen aus Österreich ans Kreuz zu nageln.

Seine Thesen zur Migration passen inhaltlich zu jenen eines Franz Josef Strauss oder eines Helmut Kohls. Sie spiegeln, wenn überhaupt, eine konservative Weltsicht. Dadurch, dass das gesamte politische Spektrum jedoch nach links abgedriftet ist, gewinnt dieser politische Gegenpol noch mehr an Kontur, kontrastiert den gegenwärtigen politischen Kurs und dessen Irrwege noch stärker.

So wie die Antifa und unzählige linke Lobbyorganisationen seit jeher ihre politische Agenda propagieren, versucht dies auch Martin Sellner auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Daran ist nichts Verwerfliches, denn wie bereits geschrieben: Seine Forderungen sind viel weniger abstrus als jene marxistischer Anarchisten, die Staat und Gesellschaft verabscheuen. Gleichzeitig scheint spätestens seit der Corona-Pandemie bei der gesellschaftlichen Ultra-Linken jegliches revolutionäre Moment ohnehin erschöpft. Der revolutionäre Charakter wurde eingetauscht gegen ein konformistisches Bejahen des Regierungskurses, das sich in blindem Gehorsam während der Corona-Plandemie zeigte. Das war der erste Schritt, mit dem sich nicht nur die Partei Die Linke, sondern auch linke Vorfeld-Organisationen ihrer Tatkraft berauben ließen. Ja, es schien sich förmlich eine Verkehrung der oppositionellen Energie vollzogen zu haben, von links nach rechts.

Die Linken gaben die Revolution auf für ein bisschen Regenbogenkult, für eine waghalsige Minoritäten-Politik, die ihnen das verfälschte Gefühl gab, angekommen zu sein, in der „Mitte der Gesellschaft“. Aber eben jene Mitte ist trügerisch. Echte Opposition, wie von Sellner konstituiert, ist nie „die Mitte“. Echte Opposition muss schließlich Maximal-Forderungen aufstellen – das ist sozusagen der Job des politischen Vorfeldes. Eben diesen Job haben Sellner, aber auch die AfD, einfach besser gemacht, indem sie zur echten – und eigentlich auch einzigen – gesellschaftlichen Opposition in Deutschland wurden. Die Linke jedoch machte sich gerade während der Coronapandemie mit jenen gemein, die sie sonst als Urheber jeglicher gesellschaftlicher Ungerechtigkeit identifiziert: mit dem Kapital – der herrschenden Klasse. Sellner, und mit ihm andere rechte Theoretiker, füllten die Lücke aus. Systemkritik à la Neue Rechte.

Dabei sollten alle Sellner-Kritiker eines bedenken: Dieser junge Mann steht für seine politischen Ziele – also a priori die Stärkung des Nationalstaates und eine menschliche Remigrations-Politik – seit Jahren ein, lässt sich auch durch zahlreiche persönliche Repressalien und zig Bankkonten-Sperrungen nicht von seinem Weg abbringen. Vielleicht aus persönlicher Überzeugung, vielleicht aber auch, weil er erkannt hat, was echte APO ausmacht. Sellner ist somit ein Vorbild für jeden intellektuellen Straßenkämpfer jeden politischen Lagers. Anders als die linken Randale-Kids, setzt er auf Inhalt und mediale Wirkung. Ein wohl cleverer Schachzug.  Denn wenn die Öffentlichkeit – aller staatlich propagierten Gehirnwäsche zum Trotz – einmal verstanden hat, dass nicht alles, was links ist gut, und alles was rechts böse ist, dass rechts sein nichts, aber auch gar nichts mit „Nazi-sein“ zu tun hat, dann ist ein großer Schritt getan.

Das Beispiel Sellners zeigt aber auch, mit welchen juristischen Fallstricken ein System bereit ist, zu agieren, wenn es sich in Gefahr wähnt. Die Frage, was durch das nationale „Hausverbot“ Sellners denn inhaltlich überhaupt erreicht werden soll, bleiben die Regierenden derweil dem Volk schuldig. Würden sie Sellners jüngstes Buch nur verstehen, wäre wenigstens ein erster Schritt getan. Für Deutschland und all jene, die mit falschen Hoffnungen und falschen Papieren hierher kommen wollen.    

  

Autor: Andreas Altmeyer

Autor, Friedensaktivist

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