Die Wiederentdeckung der Vorabend-Serien

Da momentan ja, wie in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren überhaupt, relativ wenig bis gar nichts „Gutes“ im Fernseher läuft – ja, so nenne ich ihn noch –  schaue ich mir ab und zu alte Serien der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts an. Diese kommen meist zwar ebenso oberflächlich wie ihre aktuellen Pendants daher, sind aber um einiges unterhaltsamer und um vieles authentischer. Zumindest nach meinem Geschmack. Oft steht das Familienleben im Zentrum der Handlung, diese wiederum kommt in den allermeisten Fällen ohne atemraubende Action-Szenerie und konstruierte Wendungen aus, ohne – für mein Dafürhalten jedenfalls – an Unterhaltungspotential einzubüßen. Vielleicht ist es so zu erklären, dass ich mir immer wieder gerne ansehe, wenn Peter Weck in der Rolle des Werner eine Familie – respektive „Angie“ Thekla Carola Wied samt Anhang – heiratet und Eberhard mit seiner „Schnuppe“ Hannelore in „Die Wicherts von nebenan“ das Eheleben meistert. Vielleicht kann man das als eine fast schon wehmütige Reminiszenz an vergangene Kindheitstage deuten, die in der Erinnerung bekanntlich immer euphemistisch, wohlig-warm aufleben und somit tendenziell verklärt werden. Mag sein. Doch die Faszination für diese Serien lebt für mich ganz subjektiv betrachtet fort, gerade ob der in ihnen präsentierten Normalität, in der sich die meisten Durchschnittfamilien der achtziger und neunziger Jahre wiedererkannt haben dürften. Gemein war diesen (Vorabend)Serien der in ihnen gepflegte unprätentiöse Umgang der Protagonisten miteinander und deren äußeres Erscheinungsbild, das ohne zwanghaft demonstrierte Jugend und Marken-Placements auskam: Die Frisur saß nicht immer, die Augen von Männlein und Weiblein gleichermaßen waren weder durch Botox noch durch Hyaluron-Booster zwangsverjüngt, zumindest sah man das nicht so offenkundig. Alles wirkte, von Sascha Hehn mal abgesehen, sehr natürlich.  

Alles schien, aus der heutigen Perspektive betrachtet zugegebenermaßen noch viel mehr als früher, einfacher, näher dran am Leben. Was den Fokus der Handlung angeht (z. B. gab es da junge Paare, die tatsächlich sparen mussten, und nicht eine riesige Hochzeit veranstalten und gleichzeitig in Flitterwochen fahren konnten), aber auch was die Örtlichkeiten betrifft. So beispielhaft die Schwarzwaldklinik mit ihrem (einen) beengten Stationsgang und den einfachen Patientenzimmern, die im Vergleich zum urbanen Großkrankenhaus, das uns in Emergency Room vorgestellt wird, mehr als provinziell daherkommt. Es war weniger, und doch mehr – irgendwie jedenfalls.

Da waren dann die hingegen oft hölzernen Dialoge einer Witta Pohl als dominante Vera Drombusch („Diese Drombuschs“) mit ihrem „Sigi“ (Hans Peter Korff) ein eher ungewohnter Ausflug in die Sphäre des Bildungsbürgertums. Besonders dann, wenn Mutter Drombusch mal wieder eine ihrer vielen „Weisheiten“ mit einem erhobenen moralischen Zeigefinger unter die Leute brachte. Dem eigentlichen Charme der Serie tat dies freilich keinen Abbruch. 

Das wird wohl auch daran liegen, dass die Drehbücher vieler Serien damals ohne zwanghaft installierte und belehrende politische Statements auskamen. Es ging um die alltäglichen Problemchen der kleinen Leute in ihrem Mikrokosmus, ohne die Protagonisten zu diskreditieren, ohne ihnen aber auch eine artifizielle political correctness – wie man das heute wohl nennt – abzufordern.

Eine erste Serie, die dazu damals – ich mag elf, zwölf Jahre gewesen sein –  einen Kontrapunkt setzte, war „Unser Lehrer Dr. Specht“. Darin gab Robert Atzorn einen mir sehr unsympathischen, alle Probleme lösen wollenden Über-Lehrer. Es kann auch am Alter des Drehbuchautors gelegen haben – Kurt Bartsch wurde 1937 in Berlin geboren und war wohl schon damals nicht mehr so nah dran an der juvenilen Realität von Teenagern – dass ich viele sozialkritische Aspekte der Serie als überspitzt und in ihrer Dichte unrealistisch empfand. Denn vom Drogenabhängigen bis hin zum Aidskranken fanden sich im Klassensaal, der als Brennglas der Lebenswelt im Husserl‘schen Sinne herlhalten musste, so ziemlich alle Themen wieder, die in den frühen neunziger Jahren diskussionswürdig waren. Sei es drum: Die Serie war zweifellos ein Erfolg – auch ohne einen einschmeichelnden Soundtrack von Christian Bruhn („Die Wicherts von nebenan“, „Marmor, Stein und Eisen bricht“, „Milka, die zarteste Versuchung“, „Heidi“) – in jenen Zeiten nannte man diesen noch Titelmelodie.

Vielleicht ist der  Abstecher in die verstaubten Untiefen der Mediatheken der Öffentlich Rechtlichen auch der Tatsache des Überangebots geschuldet, mit dem uns Streaming-Dienste dauerversorgen. Eine bewusste Rückbesinnung auf eine bekannte Welt, ohne Bild-Filter, Jahrhundertschlachten und ausgefeilte Wendungen des Plots. Eine Welt, die ohne Mega-Stars, ohne gestählte Männer- und Frauenkörper auskam, die analog statt digital und uns damit näher war.

Nun ist es aber mal gut mit der Retrospektive. Denn es gäbe doch so vieles, über das man eigentlich dringender schreiben müsste/sollte. Den Ukraine-Russland-Konflikt, der, wenn er falsch angegangen wird, das Potential zum (Welt)Krieg hat, beispielsweise. Die nervenden und immer sinnloser erscheinenden Corona-Maßnahmen. Überhaupt Corona als Gesamtpaket, weil alles ja Corona ist. Und dann noch die Olympischen Spiele in China, die dort gar nicht hätten sein dürfen, zumindest wenn man auf viele teils prominente Kritikaster hört. Ach, es gäbe so vieles, was wichtiger wäre, als die „Wicherts“ und „Diese Drombuschs“. Doch vielleicht waren sie nie nötiger als gerade jetzt.

Die neuen Rundfunkgebühren – ein „Service“, den keiner braucht

Wenn nun bald schon die Rundfunkgebühren endgültig für alle zu einer Art Pflichtsteuer erhoben werden, und zwar unabhängig davon, ob derjenige, der da zahlt,einen Fernseher respektive ein Radio hat oder nicht, ist das für mich schon blanker Hohn. Worin liegt eine solche Pflichtabgabe denn bitteschön begründet?

Es hat schon etwas von umgekehrtem Sozialismus – also quasi von einer Plutokratie – wenn sich die obsoleten Senderbosse anmaßen, der breiten Masse einen solchen Betrag aufzuerlegen. Gerade, weil der zunehmende Bedeutungsverlust der öffentlich-rechtlichen Sender offenkundig ist. Ich meine: Der mit Heile-Welt-Pathos geschwängerte Musikanten-Stadl-Irrsin und die actiongeladenen Serien-Monster der Marken „Der Alte“ und „Rosamunde Pilcher“ finden in meinem persönlichen TV-Zeitplan jedenfalls keinen Platz. Warum auch? Neunzig Prozent des öffentlich-rechtlichen Programms sind ohnehin an Oberflächlichkeit kaum zu überbieten. Ich erinnere an solch tolle Formate wie „Lafer! Lichter! Lecker!“, wo ein komplexitärer Sternekoch mit einer kahlköpfigen Kölner Pseudo-Frohnatur Witze reisst, die keiner hören will. Wenn man füher von öffentlich-rechtlicher Seite den Informationswert als Alleinstellungsmerkmal anführte, ist es heute gerade noch ein flaches Programm-Potpourri für ältere Herrschaften, mit dem man sich hervortut. Information und coole Serien – dafür gibt’s schon längst die Privaten. So taumeln die „Großen Zwei“ und leiden – kaum verwunderlich – unter rückläufigen Quoten. Anstatt ihre Programm-Konzepte endlich mal auf ein jüngeres Publikum zuzuschneiden, bleibt es langweilig, monoton, beliebig – bis auf wenige Ausnahmen wie die Heute-Show vielleicht. Witzig nur, dass die bald ehemalige GEZ nun auch noch „Beitragsservice“ heißen soll, dass im Jahr 2011 allein 7,5 Milliarden Euro über die staatlich-organisierte Geldeintreibe-Mafia erschlichen wurden und dass davon dann erstklassige Fernehunterhaltung wie das „Adventsfest der 100 000 Lichter“ bezahlt wird. Und was noch viel spaßiger ist: Aus dem großen Gebühren-Wunschpunsch nähren sich dann diejenigen, die einem wirklichen Programm-Relaunch im Wege stehen und ihr eigenes Süppchen kochen wollen: Neun Intendanten, zehn Fernseh-Programmdirektoren, dreizehn Fernseh-Chefredakteure und viele andere – allein bei „Das Erste“. Da muss man schon überlegen, ob man nicht dem Appell eines alten TV-Urgesteins nachkommen soll, das damals, in grauer Vorzeit, mit seiner Sendung dem ach so wichtigen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag wirklich noch nachkam: Peter Lustig. Dieser zeigte dem althergebrachten Kinderprogramm seinen „Löwenzahn“, schuf was Neues, und forderte seine jungen Zuschauer zum „Abschalten!“ auf – nach seiner Sendung natürlich. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, seinem prophetischem Credo wieder nachzukommen…