Warum Oskar Lafontaine Recht hat

Oskar Lafontaine hat mit Thilo Sarrazin gesprochen. Ein Aufreger. Oder nicht? Warum der Aufschrei in der Partei DIE LINKE über Lafontaines Gespräch mehr als heuchlerisch ist.

Ein Kommentar von Andreas Altmeyer

Da hat also Oskar Lafontaine mit Thilo Sarrazin in München diskutiert und DIE LINKE echauffiert sich fast unisono darüber. Antikapitalistische Verbände fordern sogar, der Saarländer solle am besten sogleich sämtliche Partei-Ämter niederlegen, und sind entsetzt. Diese Reaktion vieler sogenannter Linker hat mich im wahrsten Sinne des Wortes enttäuscht: enttäuscht von einer Partei, die doch längst nicht mehr für jene Ideale eintritt, für die sie einzutreten vorgibt. Den finalen Todesstoß versetzte dieser Linken die knallhart kalkulierte Machtübernahme des Kipping-Flügels, der mit der systematischen Kaltstellung der Gallionsfigur Sahra Wagenknecht einherging.  Damit beraubte man sich mehr oder minder selbst seinem Markenkern. Was für ein Eigentor. Denn Wagenknecht genoss Anerkennung, nicht nur bei der Parteibasis, sondern auch im politischen Berlin und darüber hinaus. Während Kipping sich dem Gender-Wahn hingab und das Profil der Partei zugunsten eines idealistischen Topos der „offenen Grenzen für alle“ verwässerte, war Wagenknecht weiter. Ihr war klar, dass die „offenen Grenzen“ zwar ein ureigenes linkes Thema sind, aber dass sich dieses eben nie in den Grenzen einen kapitalistisch organisierten Gesellschaft würde realisieren lassen. „No nation, no border“ war und ist für sie – im Gegensatz zu Kipping – keine Option. Da standen sich also Utopistin und Realpolitikerin unversöhnlich gegenüber.

Doch dass das Utopische in einer unsicheren Zeit bei Wählern nicht gut ankommt, zeigten unter anderem die desaströsen Wahlergebnisse der Linken bei der letzten Europawahl. Das zeigt aber auch die Abwanderung vieler Links-Wähler. Nicht wenige von denen blinken nämlich rechts und biegen ab – zur AfD. Oder bleiben auf der Mittelspur, um die olivgrüne Tomatentruppe um Annalena Baerbock und Robert Habeck im NATO-Kampfanzug zu unterstützen. Eine Partei, die gemeinsam mit der SPD den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovokrieg verantworten muss – das war völkerrechtswidrig. Schon raunen die Auguren auch bei DER LINKEN nichts Gutes. So fordert selbst der Altfordere Gregor Gysi, man müsse die Sicherheitspolitik seiner Partei überdenken. Heißt im Klartext: Wenn man wirklich mitregieren will – und das will man wohl, denn wir wissen ja spätestens seit Franz Müntefering, dass Opposition Mist ist – könnte bei der Linken aus dem „NATO no“ auch ein „NATO go“ werden. Damit würde dann die letzte NATO-kritische Partei die Segel in Deutschland streichen. Aber das ginge, so könnte ich mir vorstellen, schon okay für Frau Kipping.

Eine kleine Randnotiz kann ich mir an dieser Stelle nicht verwehren: Auch und gerade in Corona-Zeiten hätte ich mir von einer Partei, die eigentlich vorgibt, eine Friedenpartei zu sein, mehr versprochen. Ich hätte mir früh ein klares Statement gewünscht, eine klare Kante gegen den „heute hü und morgen hott“-Kurs der Bundesregierung. Ein klares „Ja!“ zu den zahlreichen Friedensaktivisten auf den Straßen – sowie ein politisches Sprachrohr für eben jene. Aber: Pustekuchen. Auch das zeigt wohl, wie sehr man bei die LINKE im Kartell-Parteien-Zirkus angekommen ist.

Doch nochmal zurück nach München, wo Oskar Lafontaine geredet hat. Ja, er hat „geredet“. Und damit ist eigentlich alles gesagt. Denn müssen wir uns, wollen wir wirklich für Frieden eintreten, zumindest miteinander reden. Das heißt: Nicht alles zu teilen, was der andere sagt, aber zumindest aus der eigenen Echokammer heraustreten, dem Gegenüber zuzuhören und dessen Argumente im besten Fall zu verstehen. „Verstehen“, und zwar im Gadamer’schen Sinne. Denn schon der große Philosoph hat konstatiert: Verstehen setzt voraus, die eigene Erwartungshaltung permanent zu revidieren.

Dafür braucht es nicht viel außer vielleicht ein bisschen Offenheit für den politischen Diskurs. Denn wo dieser nicht mehr möglich ist – und zwar mit allen politischen Lagern – kann sich die Demokratie begraben lassen. Verständnis im eigentlichen Wortsinn bräuchte DIE LINKE aber auch und vor allem für das eigene Klientel bzw. ihre Wählerschaft. Denn obgleich ein Reformprozess innerhalb der Partei zwingend nötig ist: Kernwerte wie Abrüstung und soziale Gerechtigkeit dürfen dafür nie geopfert werden. Denn genau diese Werte geben dieser Klientel Orientierung und der Partei ihr Profil.

DIE LINKE wird sich also inner- und außerparteilich einem Diskurs stellen müssen. Wie viel „Realismus“ ist man bereit zu wagen? Und wieviel Utopie der Kernlehre kann und darf man sich leisten? Das ist ein schwieriger Prozess, der, wie das Beispiel Gregor Gysi weiter oben zeigt, oft in die falsche Richtung laufen kann. Auch die SPD hat ja letztlich durch ihre Hybris und Machtversessenheit den Status einer Volkspartei eingebüßt.

Und für die LINKE gilt noch immer: Die oppositionelle Haltung ist ein kostbares Gut. Politischer Diskurs tut also Not. Diesem politischen Diskurs hat sich einer der Gründungsväter der Partei DIE LINKE immerhin gestellt. Chapeau, Herr Lafontaine.

Go Sahra go…

Sahra Wagenknecht hat in der „Aktuellen Stunde“ des Bundestages am 21.09.2011 zur Insolvenz Griechenlands mal wieder Klartext gesprochen. Die aus konservativen Reihen als neo-marxistisch stigmatisierte Linke kritisierte in gewohnt klaren Tönen die Konditionen, die Griechenland im Rahmen des Sparprogramms auferlegt wurden und verurteilt das „wahltaktisch motivierte Insolvenzgerede“ der großen Parteien. Recht hat’se, die Sarah.

Die Frage sei nicht, ob Griechenland zahlungsunfähig sei, eher wann es in die Insolvenz steuere, so Wagenknecht. Das sogenannte „Gläubigerbeteiligungsprogramm“ ist aus Wagenknechts Sicht direkt der „Giftküche des internationalen Bankenverbandes und der Finanzmafia“ entsprungen und diene ausschließlich deren Rettung. Die Bundesregierung mache sich zum Erfüllungsgehilfen dieser „Zockerbande“ und habe ihren Amtseid vergessen. Auch die Opposition weise sich als Armutszeugnis für die Demokratie aus, indem sie dieses Verhalten mittrage.

Ergo: Die Schulden der Staaten seien die Vermögen der Reichen. „Quartalsirre“ in den Ratingagenturen, die mitverantwortlich für die Wirtschaftskrise gewesen seien, dürften nicht weiter darüber entscheiden, welche Spielräume Staaten zukünftig haben. Wagenknecht weiter: „Dieses System führt zum Bankrott der Demokratie in Europa.“

Wieder einmal beweist Wagenknecht mit ihrer klaren Systemkritik ihr perspektivisch richtiges Denken und entlarvt unsere momentane durch Unfähigkeit glänzende schwarz-gelbe Regierungs-Scheinehe als verlängerten Arm der Finanzmärkte. Drücken wir Sarah die Daumen, dass sie ihr nächstes Vorhaben, Fraktionschefin der LINKEN zu werden, verwirklicht.