Guttenberg-Virus: Auch Christian Wulff ist befallen!

Das Amt des Bundespräsidenten ist – in Sachen positioneller Macht – von stets zwiespältiger Natur. Wenngleich es – rein formal gesehen – das wichtigste aller politischen Ämter im deutschen Staate darstellt, beschränkt es sich im Daily Business doch vor Allem auf eines: Die Fähigkeit nämlich, die Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich zu repräsentieren – sei es bei Staatsempfängen mit großem Tamtam oder bei der Verleihung eines Bundesverdienstkreuzes am Bande.

Zwar hege ich persönlich Zweifel in Sachen Notwendigkeit einer solchen – für den geneigten Steuerzahler – nicht ganz unerheblichen Kostenstelle wie der des Bundespräsidenten – doch davon ein mal abgesehen: Es ist die Person des Bundespräsidenten selbst, die diesem Amt Ausdruck und Würde verleiht. An sie richtet die Allgmemeinheit einen moralischen Anspruch, der sich im Amtsträger letztlich vergegenwärtigt. Das Attribut des Bundespräsidenten ist es ja, als staatlicher Repräsentant jegliche politischen Sachverhalte aus einer distanzierten, moralischen Perspektive zu beleuchten, öffentlich Stellung zu beziehen und so einen Gegenpol zum undurchsichtigen, politischen Wirrwar zu bilden. Wenn nun also herauskommt, dass Herr Wulff das Parlament im Februar 2010 nachweislich täuschte, reiht er sich damit ein in das traurige Kabinett der politischen Nepper, Schlepper und Bauernfänger aller Guttenbergs dieser Welt. Die moralische Verfehlung lässt ihn bei jeglicher zukünftigen innen- und außenpolitischen Diskussion völlig unglaubwürdig werden. In gewisser Weise erwarte ich von einem Bundespräsidenten nämlich – wenn er dann schon mal da ist – Echtheit und Konkruenz.

Übrigens: Auch Herrn Wullffs Vorliebe für Luxus – mit der er schnell zum Vorzeige-Amigo allerlei suspekter „Wirtschafts-Prominenter“ avancierte – sind meines Erachtens nur schwer mit seinem moralisch anspruchsvollen Amt vereinbar. So pflegte der W(u)lff im Schafspelz nachweislich private Beziehungen zu Herrn Carsten Maschmeyer, dem Gründer des mehr als umstrittenen Sklaventreiber-Finanz-Unternehmens AWD und verschaffte sich dadurch ebenfalls allerlei nicht ganz uneigennützige Vorteile. Zur Erinnerung: Im Jahr 2010 gönnte er sich mit seiner Lebensgefährtin kurzehand einen Luxusurlaub in Maschmeyers Privat-Domizil – auf dessen Kosten natürlich. Mehr davon? Von Air Berlin-Chef Joachim Hunold ließ sich Wulff über den Wolken, wo die Freiheit bekanntlich ja grenzenlos ist, gerne mal in die Business-Class einladen. Aber auch der liebe Christian hatte ab und an die Spendierhosen an. So lud er seinen, nach eigenen Angaben, „Nicht“-Kreditgeber und Unternehmer-Freund Geerkens ein, ihn als Wirtschaftsberater bei Flügen ins Ausland zu begleiten. Kurz: Wulff spannte gesellschaftliche Netze und profitierte in vollen Zügen von den sich daraus ergebenden Vorteilen.

Doch halt! Auch ein Johannes Rau wäre ja schließlich immerhin schon fast ein mal über eine Affäre dieser Art gestolpert. Als dieser sich im Jahre 2000 für mutmaßlich von der West LB bezahlte Flüge hatte rechtfertigen müssen und gerade noch mit einem blauen Auge davon kam, polterte Wulff, es sei tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten habe, der seine Stimme mit Macht erheben könne. Rau sei eine Belastung für sein Amt. Nun, elf Jahre später, ist Wulff selbst ein Getriebener seiner belasteten, nicht ganz lupenreinen Vergangenheit – was ihn wohl spätestens Anfang nächsten Jahres dazu zwingen wird, seine Koffer im Schloss Bellevue zu packen, um in die von ihm doch so verschmähte Welt des Kleinbürgertums abzutauchen – natürlich nicht ohne einen lukrativen Aufsichtsrats-Posten in der Hinterhand zu haben – bei Air Berlin oder bei AWD beispielsweise…

Und es war doch Betrug, lieber Herr zu Guttenberg…

Nun gut – der Zeitpunkt, an dem Herr KTzG dem liberalen Wochenblatt DIE ZEIT ein seitenlanges Interview gegeben hatte, war wohl wirklich nicht der beste. Aus kommerziellen Gründen datierte man die Niederschrift des Gespräches zwischen dem ehemaligen Verteidigungsminister und Giovanni di Lorenzo in der Wochenzeitung auf diesen vorweihnachtlichen Zeitpunkt – immerhin erscheint das gesamte Wortgewusel in einem Buch, was den im „Dossier“ der ZEIT abgedruckten Teil des Dialogs zu einem groß angelegten Werbeteaser degradiert…

Nun hätte ich erwartet, dass Herr zu Guttenberg die Zeit in seinem Exil zu einer distanzierten, reflektierten Selbstbetrachtung genutzt hat. Immerhin galt er einst als Hoffnungsträger der konservativen – immer noch aristokratie-affinen – Mittelschicht, die viel an die politische Inszinierung und wenig an politische Inhalte glaubt… Was sich Herr zu Guttenberg jedoch bei seiner Rückbetrachtung zurechtspinnt, hat mit einem großen Eingetändnis und einer Katharsis nicht wirklich viel zu tun. Vielmehr verliert sich der einstige politische Klassen-Primus der CSU im Klein-Klein seiner, aus geklauten Text-Fragmenten zusammengeflickten Doktorarbeit. Ja, er habe den Überblick verloren, ja, er sei überfordert gewesen, aber nein, bewusst habe er niemals täuschen wollen… Nun handelt es sich hier aber insgesamt um nicht weniger als 1218 Plagiatsfragmente aus 135 Quellen auf 371 von 393 Seiten – kein Pappenstiel also. Und Fußnoten schlichtweg zu vergessen – wenn auch die Autoren, auf die sich die jeweiligen Textstellen beziehen oder von denen sie stammen, im Nachhinein im Literaturverzeichnis aufgeführt sind – ist keine simple, wissenschaftliche Kleinigkeit.

Vielmehr lernt man schon in den ersten Semestern die korrekten Zitations-Weisen anzuwenden, mit Fußnoten umzugehen, ein Literatur-Verzechnis aufzusetzen und was es mit Fomulierungen wie a.a.O. und ebd. auf sich hat. Von der simplen Hausarbeit angefangen bis hin zur Diplom-Arbeit werden den Studenten die Notwendigkeit und die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens eingebläut. Das wiederum hat natürlich seinen Sinn, geht es doch um nichts Anderes als darum, das geistige Eigentum der Autoren und Autorinnen zu schützen und die Grenzen zwischen Selbst- und Fremderkenntnis zu ziehen. Gerade eine Doktorarbeit lebt im Übrigen von dieser Unterscheidung, da nur so ihr Wert bemessen werden kann.

Nun hat Herr zu Guttenberg die Maßstäbe des wissenschaftlichen Arbeitens nicht wirklich verinnerlicht, hat keinen akademischen Habitus ausgebildet und spricht immer wieder davon, nicht bewusst getäuscht zu haben. Wenn das so gewesen sein sollte, lässt mich dieser Sachverhalt nur zu einem Schluss kommen: Ein Mann, dem wissenschaftliche Grundprinzipien und das geistige Eigentum anderer so gleichgültig, dessen Doktorarbeit folglich so stümperhaft aufgesetzt und dessen narzistischer Selbstdarstellungs-Drang so groß ist, hat in der Landschaft der deutschen Politik nichts mehr verloren. Denn keine andere akademische Leistung spiegelt mehr ein Stück beruflicher und (normalerweise) persönlich erarbeiteter Identität, wie eine Doktorarbeit. Um deren Privilegien jedoch genießen zu dürfen, bedarf es der Sorgfalt sowie dem Blick, und vor Allem, der Liebe für das fachliche Detail. Guttenberg kam all das, und auch die Einsicht in die Begrenzheit der eigenen Mittel, abhanden.

Karl Theodor zu Guttenberg hat sich mit diesem Interview endgültig zu einer persönlichen Mogel-Packung degradiert, der Werte wie Echtheit, Empathie und Ehrlichkleit nur insoweit wichtig sind, wie sie der eigenen Darstellung dienen. Wenn wir bei rot über die Ampel fahren, müssen wir damit rechnen, dafür bestraft zu werden. So ist das nunmal. Es gilt der alte, aber sinnvolle Grundsatz: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“