Denn sie wissen nicht, was sie konsumieren

Streben wir nicht alle danach: Nach der maximalen Autonomie, dem Erwachen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Nachdem wir uns dann im übertragenen Sinne von  selbiger befreit haben, fällt es uns mehr oder weniger schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, mit der wir unvermittelt konfrontiert werden. Denn nicht nur die Wahrheit zu erfahren, sondern auch sie zu ertragen ist meist mit einem schmerzvollen Prozess der Erkenntnis verknüpft wie schon das Höhlengleichnis von Platon zeigte.

Man muss sich eben doch mit Inhalten auseinandersetzen, muss Quellen finden und sich diese dann sogar erarbeiten, sie filtern, einordnen und ein sorgfältiges Resumé ziehen. Das alles ist für den klassischen Nine-to-five-Worker wirklich nicht einfach, bedarf der Eigeninitiative und braucht Zeit. Doch ohne diesen persönlichen Ehrgeiz, ohne dieses Dran-bleiben-wollen-um jeden-Preis, verschwimmen mediale Inhalte schnell zu einem zähen Einheitspreis, der sich nur mittels künstlicher Aromen à la Claus Kleber und Gundula Gause herunterschlucken lässt. Das Problem dieser künstlichen Aromen liegt allerdings in deren doppelter Wirkung: Einerseits verlangt der Körper schnell mehr davon, wenn er sich erst einmal an sie gewöhnt hat, andererseits sind sie eben künstlich und daher nicht gerade vitalisierend, quasi verClebernd.

Was es also braucht, ist das, was Hegel im Vorwort zu seiner „Phänomenologie des Geistes“ die „Anstrengung des Begriffs“ nannte. Allein, viele haben die Muße dafür nicht.

So rennen sie dahin und bescheren der Springer-Presse satte Gewinne, saugen die von den Media-Agenturen und Think-Tanks arrangierten Pressemeldungen auf, die an Gehalt so viel aufweisen wie ein Fruchtwerg an Vitaminen. Mir fällt bei so viel Unmündigkeit  unweigerlich ein Dean’sches Filmzitat ein: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Dabei ist diese Unmündigkeit des Einzelnen, sein völliges Aufgehen in seiner eigenen Privatheit, sein selbstverliebter Hedonismus, der sich mit dem „Schaut-mal-wie-gut es-mir-geht-Post“ auf Facebook zufrieden gibt und keine Eintrittskarte für die Vorstellungen auf der weltpolitischen Bühne haben will, ja gewollt.

Denn immerhin entscheidet ja Bildung, respektive: Bildungsferne, darüber, ob man sich zur privilegierten Schicht der Eliten zählen kann oder eben nicht. Das Dilemma, indem sich ein Großteil der sogenannten Bürger befinden, ist jedoch, dass sie nicht mal wissen, dass sie mit System für dumm verkauft und alle Tage wieder mit Propaganda zugemüllt werden. Der mediale Overkill macht auch längst vor Kindern nicht halt. Wo Systemkonformismus und Ich-Bezogenheit als neue Formen von Freiheit erlebt werden, dort tritt anstelle von rationaler Kritik tendenziöser Konsumismus.

Und so setzen jene, die nicht wissen sollen, Bildung mit der BILD-Zeitung, ProSiebens „Galileo“ mit einem Wissenschaftsmagazin und die heute-Themen mit einer seriösen Nachrichtensendung gleich, ohne sich jemals aus ihrer persönlichen kleinen Welt, aus ihrer Komfort-Zone, herausbegeben zu haben. Vielleicht ist es ja menschlich, sich seinen eigenen Mikrokosmos aufzubauen, sich mit Plattitüden zu begnügen und sich auf den nächsten Pauschalurlaub zu freuen. Und ja: Glücksmomente sind wichtig – um zu erleben, dass das Leben schön ist. Doch ein bisschen Hedonismus schließt die Auseinandersetzung mit dem großen Ganzen keineswegs aus. Echte Mündigkeit hat etwas von der Schulpflicht, die uns keine große Freude bereitete, uns aber ins Erwachsensein begleitet und im Idealfall auf eigene Füße gestellt hat.

Während uns jedoch die Schule „zum System hin“ sozialisierte, gilt es nun, durch alternative Medien eine Sicht „auf das System“ zu erhalten. Das Gute: Ganz so schwer ist das am Ende des Tages nicht – denn entsprechende Youtube-Formate, Facebook etc. servieren echte Inhalte quasi sekündlich und „just in time“. Das Wissen ist nur einen Mausklick entfernt.

Radio GaGa

Ja, ich weiß. Was Sie von diesem Blog erwarten, ist eine ordentliche Portion Systemkritik, gepaart mit linkem Gedankengut. Auch wenn Sie diese Erwartungshaltung durchaus zu Recht einnehmen, möchte ich in diesem Beitrag ausnahmsweise mal nicht ganz so politisch sein. Denn um was es mir geht, ja was mich wirklich nervt, das ist das desaströs schlechte und zuweilen schon an RTL2-Niveau grenzende Angebot unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks. 

Obgleich ich diesem Thema schon vor Jahren einen Artikel gewidmet habe, so muss ich, schalte ich in Anbetracht eines aufkeimenden Hoffnungsschimmers das Radio ein, doch immer wieder feststellen, dass selbiger sogleich in einer Flut von pseudo-fröhlichem, oberflächlichem verbalen Auswurf erstickt wird. Ja, ich meine damit die mittels Redaktionsplänen durchdeklinierten Themen, die den Zuhörer fast schon trickreich mit einem Sammelsurium aus privaten Erlebnissen des ansagenden Mikro-Pausenclowns und dessen bewusst polarisierenden Harmlos-Fragen bombardieren. Ganz nach den Motto Schlimmer geht’s immer ist da die Rede vom Wetter, das im Winter wider Erwarten winterlich ist, von den eigenen Kindern, von den Weihnachtsgeschenken, die man noch nicht gekauft hat und so fort. Und spätestens dann, wenn der Pausenclown mit einer Mischung aus Selbstgefälligkeit und aufgedrehtem Animateurs-Gehabe zum zehnten Mal die rethorische Frage stellt, wer denn der beste Sender im ganzen Land sei und die Antwort darauf im Bruchteil einer Sekunde mittels lautstarkem Jingle einspielt, so wird mir klar: Die wollen uns doch für dumm verkaufen. Zahle ich dafür meinen so genannten Servicebeitrag und, wenn ja, worin liegt dieser Service? 

Vielleicht in der bewussten Lähmung der Massen, in deren Betäubung durch medialen Laber-overkill in Kombination mit zwanzig Songs, die man scheinbar auf jedem Sender zu jeder Zeit hören kann. Wissen Sie, die musikalische Auswahl ist so groß, die Archive der Sender so prall gefüllt, wieso zur Hölle hat man da immer das Gefühl, dass sich das Song-Portfolio wie auf einer sehr, sehr langen Schallplatte nur alle vier Wochen mal ändert?

Es scheint, als sei es gewollt, die Zuhörer mit einem akustischem Klangkaugummi zu versorgen, der sie jeden Morgen wieder ins Auto steigen und sich im kapitalistischen Produktionsprozess verdingen lässt. Diese sind dann schon glücklich, wenn sie einem Blitzer auf Ansage entkommen, während die Ansage dafür von irgendeinem Autohaus oder einem Rolladenbaubetrieb präsentiert wird. Genau wie die Nachrichten und der Wetterbericht. 

Ups, da ist sie ja nun doch wieder, meine Systemkritik. Und wenn wir dann erkennen, dass noch immer viel zu viele Menschen diese Radiosender toll finden und deren Pausenclowns wie Stars behandeln, ja spätestens dann wird klar, warum Mutti Merkel noch immer viel zu gut bei den Wahlen abgeschnitten hat. 

So viel sei noch gesagt: Gott sei Dank, dass es noch Ausnahmen wie Deutschlandfunk-Kultur gibt.

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