You can’t always get what you want, das ist nicht nur ein altbekannter Titel der Rolling Stones. Es ist vielmehr ein Credo, eine Formel, die tatsächlich wahr zu sein scheint, aber in unserer derzeitigen kapitalistischen Gesellschaft immer weniger beachtet wird. Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Wenn ich so nachmittags durch die Stadt schlendere, sehe ich gefühlt mehr Sportwagen, mehr schwarze SUVs, kurz: mehr Luxuskarossen als früher. Und tatsächlich scheint das, was sich die meisten leisten können, vordergründig mehr geworden zu sein. Ja, was für den deutschen Mainstream selbstverständlich geworden ist – kleines Häuschen, netter Vorgarten in einer verkehrsberuhigten Straße, zwei Autos und Riesen-Fernseher – all das hat im Zeitalter der 0-Prozent-Finanzierung den Zenit der Dekadenz noch längst nicht überschritten. Denn bei den meisten Menschen in Deutschland ist, soweit man Studien vertrauen mag, nicht das Geld mehr geworden, sondern sind die Ansprüche an den Komfort gewachsen, genauso wie die Bereitschaft, sich dafür zu verschulden.
Von finanzierten Pauschalurlauben bis hin zu Kids, die in Markenklamotten großgezogen werden, hat sich ein Großteil der Menschen dem kapitalistischen Konsumverhalten vollends untergeordnet. Weitestgehend unkritisch. Und das ist es, was mich sehr schockiert. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das früher schon genauso war und ich es nur nicht wahrnahm. Aber die Saat der unzähligen Werbebotschaften ist im Zeitalter von Product Placement und Influencern wohl doch aufgegangen. Mit ihnen konstituiert sich eine Generation, für die Materialität selbstverständlich ist und Geld als Mittel zur Glückseligkeit verklärt. Aber der Werbung alleine die Schuld dafür zu geben, ist verfehlt. Dieses Problem stellt sich vielmehr, wie sagt man so schön, multifaktoriell dar, wird befeuert von Schulen, Eltern und selbst von Universitäten, also quasi von allen Sozialisationsinstanzen. Bis auf wenige Ausnahmen, vermitteln sie dem Individuum das, was Adorno einst als Halbbildung entlarvte, ohne es zu echtem systemkritischem Denken anzuhalten.
Die Verkürzung der Schulzeit, die stoffliche Verdichtung und zahlreiche Vertretungsstunden tun ihr Übriges, kappen die Kindheit zugunsten eines kompetitiven Leistungsdrills, der gar nicht erst darauf ausgerichtet ist, den Einzelnen ganzheitlich zu fördern. Zugegeben: Akademisierung ist wichtig, aber sie als Königsweg zu verkaufen, führt zwangsläufig auf den Holzweg.
Führen wir die gegenwärtigen Lehrpläne einer Gymnasialklasse als Beispiel an, so wird klar, auf was Schule fokussiert: auf Gleichschaltung, Systemstabilisierung und möglichst rasche Marktintegration. Denn die Lehrpläne sind weder individuell auf den einzelnen abgestimmt, noch sollen durch sie Talente gefördert werden. Wäre dem so, so fänden sich darauf auch Fächer wie „Allgemeine Friedenskunde“, „Wie schreibe ich ein Buch“ und „Anleitung zum systemkritischen Denken“. Doch stattdessen ist die gegenwärtige Schullandschaft ein Musterbeispiel für eine auf eine akademische Laufbahn fokussierte Vita. Daraus resultieren verunsicherte Eltern, die meinen, dass das Studieren das Non plus Ultra sei. Welche Fehleinschätzung, denn in Wahrheit akademisiert sich unsere Gesellschaft gerade zu Tode, was man an den immer obskurer anmutenden Studiengängen sehen kann, die angeboten werden. Ganz nach dem Motto „Hier findet jeder Topf seinen Deckel“, sind sie meist nichts weiter als besonders fantasievolle akademische Warteschleifen für jene, die eigentlich nicht studieren wollen, es aber dann doch besser sollen.
Ergebnis ist einerseits die Verflachung akademischer Inhalte gerade in den Geisteswissenschaften, da sie massentauglich gemacht werden müssen und anderseits ein durch und durch schulischer Habitus der Studierenden, die ja nie gelernt haben, selbständig im Humboldt’schen Sinne zu studieren – und vor allem zu denken. Gelernt wird das, was für die Prüfung wichtig ist. Und zwar auf Gedeih und Verderb. Das ist es, was Prof. Gerald Hüther und Co. als Bulimie-Lernen bezeichnen. Genau diese pathologische Lernform ist es, die nicht nur nachhaltiges Lernen verhindert, sondern auch der zukünftigen Offenheit dem Lernen gegenüber im Wege steht.
Folgt man der kapitalistischen Doktrin, so sind sie am Ende ihres Studiums im Idealfall allesamt „Master“, wenn auch „Master of Desaster“ – konformistisch, unkritisch und, was das Wichtigste ist: nicht ausgefüllt von dem, was sie tun. Kurz: die Nine-to-Fiver von morgen. Und das nur, weil über allem bildungspraktischen Handeln das unsichtbare Damokles-Schwert des „Du musst mal ordentlich Geld verdienen“, schwebt.
Dabei wird allzu oft vergessen, dass die wenigsten akademischem Jobs so gut bezahlt werden, dass der SUV ohne Finanzierung wirklich drin wäre. Viel mehr noch: Antworten auf die wirklich essentiellen Fragen werden bewusst ausgeklammert – wie die, wo all die gezüchteten Akademiker denn mal arbeiten sollen und was uns im Zuge der Digitalisierung an Massenentlassungen blüht. Während auf der einen Seite zwangsakademisiert wird, werden weite Teile der Bevölkerung quasi ausgeklammert. Früher als „sozial schwach“ gebrandmakt, stigmatisiert man sie heute mit dem Begriff „bildungsfern“, nur um zu kaschieren, dass man sie aufgrund fehlender Chancen und Verwertbarkeit längst abgeschrieben hat. Denn: Wenn sie bildungsfern wären, läge es ja an den Bildungsträgern, näher an sie heranzukommen.
Der Starrsinn der Politik und der an ihr beteiligten Institutionen zeigt auf, dass den meisten Parteien nicht an zukunftsweisenden Konzepten, sondern an der Stabilisierung ihres Machtmonopols sowie der gesellschaftlichen Umstände gelegen ist. Und genau dieser Plan kann letztlich nur aufgehen, wenn der potentielle Wähler die Rolle des stumpfsinnigen Konsumenten einnimmt, der nichts hinterfragt und lieber Netflix schaut, statt für seine Überzeugungen Flagge zu zeigen. Indem Konzepte wie das Maria Montessoris nur einer elitären Minderheit zugänglich gemacht wird, während die Schulmaschinerie weiter auf Verschleiß fährt, wird dieses Soll erfüllt.
Was folgt also daraus? Es geht um nichts weniger als um ein echtes Umdenken, jetzt und hier. Das müssen wir vollziehen, wenn wir diesen Planeten für zukünftige Generationen lebenswert machen wollen. Denn aus dem Denken erwächst Handeln und nur das vermag uns in eine Zukunft zu führen, die weniger bedrohlich daherkommt, wie die, die sich beispielsweise der maschinell-industrielle Komplex für uns erdacht hat. Das geht nur dann, wenn wir bei uns selbst ansetzen – das ist hart, wirklich hart. Aber die Politik, so wie die großen Kartell-Parteien betriebt, wird uns dabei nicht helfen. Denn ihr liegt nichts, aber auch gar nichts daran. Wir müssen die kapitalistische Doktrin entlarven als das, was sie ist: zerstörerisch und zutiefst inhuman. Dazu muss auch die Schule ihren Beitrag leisten.
Fakt ist: Wir müssen zurückfinden zu alternativen Schulformen, die ohne ideologische Inhalte auf das Leben selbst vorbereiten und den Einzelnen zu einem mündigen Menschen erziehen. Dazu gehört neben basalen Fähigkeiten (Prozentrechten, Dreisatz, Lesen, Schreiben), auch die Vermittlung von weichen Kompetenzen, wie z. B. der Umgang mit Medien, das Erarbeiten von Konzepten in einem Team, die Rückbesinnung auf die Natur, die Wertschätzung des Lebens und die Entlarvung propagandistischer Sprache. Dazu gehören aber auch echte gesellschaftliche Teilhabe und Homeschooling, das in Deutschland quasi nicht möglich ist, nicht zu vergessen die Reformierung der Lehrerausbildung. Die Möglichkeiten im Digitalzeitalter sind schier grenzenlos. Und nur wenn wir sie nutzen, können wir unsere Kinder stark machen.
Vielleicht erkennen wir dann endlich, dass es nicht der teure SUV ist, den wir haben wollen und nicht wirklich bekommen, sondern dass wir das wirklich Wesentliche bereits in uns tragen.