Quo vadis Deutschland?

von Andreas M. Altmeyer

Eine Regierung, die auf die Spaltung der eigenen Bevölkerung und eine Politik setzt, die dieser nachweislich mehr schadet als nutzt, sollte ein Grund für jene Bevölkerung sein, das Verhalten eben jener Regierenden zu reflektieren. Umso schwerer verständlich ist es, wenn sie dies nicht tut. Wo kommt er her, der deutsche Wille zur Bequemlichkeit und Passivität?

Spätestens seit „Mutti-Merkel“ werden uns, der geneigten Bevölkerung,  im Top-Down-Prinzip bestimmte politische Entscheidungen als alternativlos verkauft. Dies war schon bei der Bankenrettung so – Sie erinnern sich vielleicht noch –, aber auch bei den Ereignissen der jüngsten Geschichte. Ob steigende Energiekosten, massive Aufrüstung oder Solidaritätsbekundungen gegenüber der Ukraine mittels Waffenlieferungen: All das scheinen, folgt man dem gängigen Mainstream-Flow, unausweichliche Handlungsmaximen zu sein, die, dem Hegel’schen Gesetz des Weltgeistes gleich, zwangsläufig geschehen müssen.

Ungeachtet einer interessengeleiteten Politik, die natürlich immer auch mit nationalstaatlichen Interessen einherginge, da nur auf jene Weise der nationale Zusammenhalt, aber auch die Souveränität des Landes und seine wirtschaftliche Leistungskraft gewahrt bleiben, scheint die aktuelle Bundesregierung losgelöst der Volksinteressen zu agieren. Anders ist es leider nicht zu erklären, dass eine pseudo-ethische-Handlungsmaxime beim Ukraine-Krieg zur ersten Bürgerpflicht erklärt wurde, während im Land selbst weite Teile der Bevölkerung in ein wirtschaftliches Zwangskorsett gepresst werden und sich sogar die Mittelschicht mit einer drohenden ökonomischen Notlage konfrontiert sieht. Gleiches gilt für eine Reihe mittelständischer und teilweise sehr traditionsreicher Unternehmen, die mit dem Gedanken spielen, aus Deutschland abzuwandern oder es bereits getan haben.

Es ist eine Politik der Reichen für wenige Reiche, bei der Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Ein zutiefst neoliberales Mantra also, zu dessen willigem Erfüllungsgehilfen sich die rot-grüne Regierung längst gemacht hat. Wie Schröder zuvor, ist auch Scholz ein „Genosse der Bosse“, nur sitzen diese für Scholz nicht bei VW, sondern bei der Warburgbank in Hamburg und wohlweißlich auf der anderen Seite des Atlantiks.

Warum, so darf die Frage lauten, machen wir Deutschen das überhaupt mit? Wieso lassen wir es zu, dass eine Clique von machtbesessenen Lobbyisten ein Deutschland konzipiert, in dem die Interessen der Bevölkerung keineswegs vertreten werden.

Warum, so muss man auch fragen, lassen wir uns mit 9-Euro-Ticket-Trostpflastern und kurzzeitigen Benzin-Preis-Almosen „abcanceln“, während auf der anderen Seite Rüstungs- und Ölkonzerne die echten Kriegsgewinner sind? Wieso lassen wir uns überhaupt in die spalterische und hetzerische Attitüde der Mainstream-Journaille hineinziehen, die endlich ungehemmt ihre russophoben Neigungen ausleben kann, flankiert von einem administrativen EU-Patronat aus Lobbyisten und Speichelleckern, die ausschließlich auf ihre eigenen Vorteile bedacht sind? Wir sollten und müssen uns dagegen wehren.

Da nutzt es auch nichts, wenn wir mit vielen teilweise sehr treffsicheren Kommentaren Facebook befüllen. Es geht, und das muss die wahre Erkenntnis der vergangenen zwei Jahre sein, darum, dass uns diese politische Kaste nicht regiert, sondern lediglich als Befehlsempfänger reagiert. Dies müssen wir begreifen, müssen wir verstehen, und dann entsprechende Schlüsse daraus ziehen. Es ist eine Kaste der politischen Kurzstreckenläufer, die sich freiwillig einer transatlantischen Beugehaft unterzogen hat, um sich selbst und uns alle zu geißeln, ohne Fachkompetenz, ohne Skrupel, ohne Werte, dafür mit viel ideologisch inspirierten Ideen und einem Öko-Faschismus, der die Mittelschicht ausbluten lässt.

Glauben Sie, eine Annalena Baerbock hätte sich vor ihrem willkürlichen  Amtsantritt in Geostrategie verstanden oder je etwas von einem der wichtigsten US-Chef-Strategen namens Brzeziński gehört? Es wäre wünschenswert, auf alle Fälle, denn immerhin darf diese Frau die außenpolitischen Fäden der „noch“ bedeutendsten Wirtschaftsmacht Europas ziehen.

Stattdessen poltert sie wie eine „loose cannon on a rolling deck” vor den Mikrofonen der westeuropäischen Leitmedien herum. Dramatisch. Daneben die sorgenvolle Miene eines in seiner Rolle ebenso überforderten Wirtschaftsministers, der nur abrücken müsste von einer transatlantischen Doppel-Moral und die Schleusen von Nordstream I und II öffnen müsste, um die Bedenken der Bevölkerung, den wirtschaftlichen Einbruch und die Abwanderung von Unternehmen zu verhindern. Dann noch ein Kanzler, der am Warburg-Syndrom, aka post-monetäre Amnesie, leidet. Glauben Sie, dieses Dreigestirn holt uns irgendwo raus und hilft uns weiter, irgendwie?

Der deutsche Michel sitzt währenddessen vor dem PC und regt sich auf. Schweigend und in sich gekehrt – zumindest im Reallife, wie man es heute nennt. Einem Volk, das keine Revolution möchte, kann man sie nicht aufzwingen.

Benommen und mit Gleichgültigkeit sitzen wir in unseren Stuben, und hoffen: auf die Monotonie unserer kleinen Leben mit ihren kleinen Fluchten. Den Grillfesten am Abend, den Urlauben an der Nordsee. Auch das ist menschlich – aber längst keine Rechtfertigung zur Passivität. Wir erdulden ein Verhalten unserer führungspolitischen Kaste, das weder hinnehmbar, noch ertragbar ist. Genau diese Kaste sonnt sich im Schoß der wirtschaftspolitischen Vollversorgung und lässt für uns ein paar Krümel übrig – wenn überhaupt. Und viele von uns geben sich damit zufrieden!

Vielleicht ist es mit der spätrömischen Dekadenz vergleichbar, von der ja Westerwelle schon sprach, die zu dieser Passivität einlädt. Das Leben in einer maroden Gesellschaft, der Verknappung von Sozialleistungen, der „flexiblen“ Jobs und der konsumierenden Maßen.

Eine Masse, die sich dem ideologischen Diktat von Minderheiten und ihren Partikulär-Interessen unterordnet, die sexuelle Vielfalt mit neurotischen Sprachauswüchsen verwechselt und für die sich die Selbstverwirklichung im Tragen von schriller Unterwäsche und in der Verwendung von Wortsilben zur Geschlechterkennzeichnung erschöpft.

Es ist eine Gesellschaft der Zersplitterung und Zerfaserung, in der das individuelle Glück und die Definition dessen, was das überhaupt ist, sich lediglich auf der persönlichen Ebene abspielen. Das ist potentiell nazistisch.

Es scheint ein Prozess der Selbstgeißelung zu sein, der sich da vollzieht, die „Entkörperung“ von Sprache und Geschlechtlichkeit, eine Art Gesellschaftsneurose der Abspaltung des Seins – vom individuellen Denken zur reinen Definition über die Gruppenzugehörigkeit. Jeder, der keiner Minderheitengruppe zugeordnet ist, ist „out oft he game“, ist konservativ, rassistisch und böse. Doch echte gesellschaftliche Toleranz geht weit über die Grenzen individuellen Seins hinaus. Sie definiert sich auch nicht darüber, ob ich zu meinem Gegenüber „ich, du, er, sie, es“ sage. Denn das sind Äußerlichkeiten, die ohnehin in den Hintergrund treten sollten, wenn das Innere im Gleichgewicht ist.

Willkommen in der Cancel-Culture
Eine Kultur des Kaschierens ist die Folge. Wir kaschieren die Geschichtlichkeit der Sprache, verhängen Embargos gegen historisch gewachsene Begriffe (z. B. „Mohrenkopf“ , „Zigeunerschnitzel“), aber kitten nicht mal ansatzweise die echten Bruchstellen des marode gewordenen Sozialstaates, verharren zum Großteil in dem von der politischen „Elite“ diktierten Tagesgeschehen, fixiert auf uns selbst, ohne nur eine Idee davon zu haben, wie eine bessere Gesellschaft überhaupt aussehen könnte.

Geschlechtsidentität und die Aufweichung von Geschlechtergrenzen werden uns als neue Freiheit vorgegaukelt und wir geben uns damit zufrieden, ohne die echten kollektiven Sollbruchstellen der Gesellschaft überhaupt noch wahrzunehmen: Eintreten für Friedenspolitik, Engagement für sozial-ökonomische Gerechtigkeit, gewerkschaftliche Organisation sowie Aus- und Aufbau einer direkteren Demokratie rücken immer mehr in den Hintergrund in dieser Gesellschaft der Gesättigten, die metaphorisch und wörtlich grenzenlos ist.

Doch wie sollen sich ohne Grenzen überhaupt Profile schärfen, wie eine soziale Identität herangebildet und Pluralität vertreten werden? Wir verlieren uns in der Verwendung des Binnen-I’s, biegen und brechen unseren kulturellen westeuropäischen Wertekanon bis zur Schmerzgrenze, ohne die Folgen zu bedenken. Darin liegt die Crux: im Streben nach möglichst viel Individual- Glück, ohne das kollektive Glück ernst zu nehmen.

Wir verlieren uns im Klein-Klein der Oberflächlichkeit, im Glanze des Regenbogens, dessen Farben blass geworden sind, was nutzt der schönste Regenbogen, wenn man keine Arbeit hat, wenn man letztendlich doch fremdbestimmt wird und es nicht einmal merkt?

Wenn man den als handlungsrelevant verkauften Narrativen nur noch passiv gegenübersteht – scheinbar. Wenn alles ein politischer Einheitsbrei geworden ist, der die Bürger mahnt, drangsaliert und als Steuervieh missbraucht, um eine mit US-imperialistischen Interessen verwobene Außenpolitik zu finanzieren?

Steigende Preise allerorts, Inflation, Corona und Depression: Statt dies als Chance zu begreifen, unser politisches System der Fassadendemokratie zu überwinden und die es repräsentierenden Parteien nun endlich als Verräter am Volke zu begreifen, wenden sich viele angewidert ab. Der Homo Apolitical ist geboren und tröstet sich mit seinem kleinen Individual-Glück des Konsums über die erodierende Gesellschaft hinweg. Völlig devot, völlig selbstzufrieden, völlig teilnahmslos. Erzogen, um zu folgen, hat er sein Schicksal, ein Spielball der politisch-aristokratischen Kaste zu sein, längst akzeptiert. Und daran wird nicht nur er, sondern unsere gesamte westeuropäische Gesellschaftsordnung zugrunde gehen.  

Auf dem Weg in die Gegenaufklärung: Ein wenig differenzierter bitte!

Dass Sprache ein Machtinstrument sein kann, ist bekannt. Doch wo statt lebhaftem politischen Diskurs gegenseitige Etikettierungen vorherrschen, wird eine Debatten-Kultur unmöglich. Das ist bedenklich.

Ein Kommentar von Andreas M. Altmeyer

Mit Schrecken und Unverständnis verfolge ich seit Wochen, wie undifferenziert sogenannte linke Gruppen die Nazi-Schwurbler-Alu-Hut-Keule rausholen und mit selbiger kräftig austeilen. Die verbalen Tiefschläge richten sich an all jene Menschen, die in Sachen „Corona“ eine andere Meinung als sie vertreten. Ohne zu werten, ob diese Meinung nun besser, schlechter oder eben nur eine andere ist, sollte für jeden doch grundsätzlich immer das Recht zur freien Meinungsäußerung gelten – auch und gerade weil dieses schließlich im Grundgesetz verankert ist. Stattdessen sind es Gruppen am linken Rand und die Staatsmedien, die jegliche Kritik an Corona-Maßnahmen und den damit verbundenen massiven Einschränkungen mit dem Nazi-Argument versehen, im Keim ersticken und disqualifizieren wollen. Damit betreiben sie nicht nur spalterische Hetze, sie führen auch jegliche Ideale, für die sie zu stehen vorgeben  – angefangen bei Freiheit, Solidarität bis hin zum Topos der „offenen und bunten Gesellschaft“ – ad absurdum. Und ich, der sich immer als „links-liberal“ verstand, weil ich für diese Werte eintrat, frage mich: Wie kann das sein? Wann und warum wurden jene, die von der Kritik am System leben, zu dessen Kollaborateuren? Wo ist sie hin, die „Linke-Denke“, die Erziehung zur Mündigkeit, für die Adorno und Horkheimer einst mit ihrer Denkschule in Frankfurt eintraten und die untrennbar mit dem Begriff der Aufklärung verknüpft ist? Dieses emanzipatorische Potential in Verbindung mit einer radikalen Gesellschaftskritik war der Verdienst der 68er-Bewegung. Das Aufbegehren gegen den Staat und seine Exekutive war damals Programm. Abrüstung und Ablehnung des Vietnamkriegs zählten zu den Kernthesen, aber auch die scharfe Kritik an einer stoischen Kaste alt-rechter Regierender.  Alles weg, alles vergessen?  

Stattdessen erkenne ich im links-liberalen Milieu dieser Tage eine wachsende Anzahl von Menschen, die sich diebisch darüber freuen, wenn ein Wasserwerfer auf Demonstranten gerichtet oder eine friedliche Person gewaltsam abgeführt wird. Einige von diesen „Bildungsbürgern“ fordern sogar, der Rechtstaat solle gegen „diese Nazis“ noch härter vorgehen. Wie kann das sein? Darauf hat der gute alte Adorno eine Antwort, haben doch seine Studien zum autoritären Charakter gezeigt, dass in jedem ein „kleiner Faschist“ schlummert. Die Frage bleibt im Raum: Sind die, die klaglos hinnehmen und sich mit staatlicher Gewalt identifizieren, vielleicht viel mehr Faschist als jene Demonstranten, die sie beschimpfen? Die Frage ist rhetorischer Natur, zugegeben. Denn es geht nicht um Verallgemeinerungen und das Denken in Stereotypen. Es gibt nicht „den Demonstranten“, genauso wenig wie es „den links Intellektuellen“ gibt. Und es mag sich sogar der ein oder andere Neurechte, Reichsbürger oder Spinner in den Reihen der Demonstrierenden verlieren. Das ändert aber nichts daran, dass die Mehrheit eben keine Nazis sind. Der eine ist Durchschnittsbürger, der andere Althippie und wieder ein anderer vielleicht ein wenig esoterisch veranlagt – so vielfältig eben wie die Gesellschaft selbst.  

Es geht nicht um Spaltung, sondern um Solidarität und statt des Weghörens ums Hinhören  – gerade in Zeiten, in denen die soziale Schere durch Corona noch weiter auseinanderzuklaffen droht. Denn während die meist lohnabhängigen Beschäftigten in ihren warmen „Homeoffices“ mit Digital Workplace davon nur wenig mitkriegen: ein tiefer sozio-ökonomischer Riss geht durch das Land – und Corona ist nur dessen Katalysator.

All jene, die sich die „stay at home“-Mentalität leisten können, müssen weder hungern noch dürsten und haben die Gewissheit eines sicheren Gehalts am Monatsende. Es sind die Selbstständigen, aber auch die zahlreichen Fernfahrer, Busfahrer, Kassiererinnen, Müllwerker, Gärtner, Bauarbeiter, Krankenhausmitarbeiter, Straßenkehrer, Seeleute und so fort, die das möglich machen und unsere Infrastruktur sicherstellen – zumindest noch. Corona wird, wie schon in einem vorherigen Artikel von mir aufgezeigt, zur Klassenfrage. Und damit entsteht ein nicht zu unterschätzendes Disput-Potential, das sich schon jetzt teils auf den Straßen, teils in den sozialen Medien entlädt. Das ist menschlich und verständlich.

Obendrein darf die Frage nach den Profiteuren dieser Krise gestellt werden. Denn wer tatsächlich glaubt, das neue Spielfeld „Corona“ böte globalen Großkonzernen keinerlei Chancen, der ist mehr als naiv. Dafür genügt schon ein Blick auf die Amazon-Aktie, die von März 2020 (1.500 Euro) bis dato auf rund 2.600 Euro vorgeprescht ist. Aber auch Ebay, Google, Etsy und Pinterest, um nur ein paar Tech-Aktien zu nennen, haben massive Gewinne aufs Börsenparkett gelegt. Gleiches gilt für die Pharmariesen Merck, Pfizer und natürlich den Impfstoff-Hersteller Biontech.

Ist diese sachliche Aufzählung dann schon eine Verschwörungs-Theorie? Und bedeutet der oft so negativ-konnotierte Begriff „Verschwörung“ gleichwohl, dass es so etwas wie eine Verschwörung niemals gegeben hätte? Anhaltspunkte, dass das Gegenteil der Fall ist, bietet die Geschichte zu Hauf. Ob Staatsstreich oder Tyrannensturz: Verschwörungen waren oft das Zünglein an der Waage – und gesellschaftliche Realität. Cäsar und Kennedy könnten wohl ein Liedchen davon singen, würden sie noch leben, denn hinter „Brutus“ („Auch du, mein Sohn Brutus?“) und Lee Harvey Oswald (soll Kennedy hinterrücks von vorne erschossen haben) standen letztlich ein oder eben mehrere „dunkle Dritte“, in deren Interesse es war, den Lauf der Geschichte gewaltsam zu ihren Gunsten zu verändern. Was ich damit sagen möchte: Nicht alles, was das Etikett „Verschwörung“ trägt, disqualifiziert sich dadurch sofort. Andererseits gibt es natürlich auch an den Haaren herbeigezogene Theorien. Es geht um das Denken in Nuancen, bei dem ein offener gesellschaftlicher Diskurs wieder möglich ist und eben keine Vorverurteilung stattfinden darf.

Das gilt für Menschen, die Angst vor dem Virus haben im Übrigen genauso wie für jene, die denken, dass wir auf dem Wege zur Hygienediktatur sind. Was beiden Personengruppen gemein ist, sind ihre Ängste, die seit sieben Monaten massiv medial und politisch geschürt werden – begleitet von einem undurchdringlichen Dschungel an Fall-, Inzidenz- und Infektionszahlen, von Maßnahmen, Verordnungen und immer wieder neuen Regeln. Nicht selten erinnert die Manier, in der selbige von Frau Bundeskanzlerin dem Volke verkündet werden, ans Maßregeln des Zöglings durch die Mutter. Gleichwohl zeigt diese Kommunikation „von oben herab“ auch deutlich die Sichtweise einer entrückten Kaste von Regierenden aufs unmündige Volk, das sich in ihren Augen nur mit Zuckerbrot und Peitsche regieren lässt.

Das schafft alles, nur kein Vertrauen, das die Regierenden ob ihres Heute-Hü-und-morgen-Hott-Kurses schon eh längst verspielt haben dürften. Das Ergebnis sind verunsicherte Menschenmassen, denen der „Stay at home“-Mode gepredigt wird, während sich viele von ihnen dennoch in überfüllten Bussen und Bahnen auf den Weg zur Arbeit machen müssen. Derweil schaltet die Bundesregierung – fast schon höhnisch – hoch emotionale Werbespots, in denen die gealterten „echten Corona-Helden“ gezeigt werden, und in einer Mischung aus Wehmut und Naivität aus der fernen Zukunft auf das Jahr 2020 zurückblicken. Die Helden, das sind natürlich in den Augen der Regierung die, die damals zu Hause geblieben sind. Nicht die, die arbeiten mussten, ob sie wollten oder nicht. Verkehrte Welt.

Ungeklärt bleibt auch die Frage nach den langfristigen Perspektiven. Wie wird das gesellschaftliche Leben sich zukünftig verändern und werden wir jemals wieder eine unbefangene „soziale Nähe“ leben können? Welche Vorschriften werden längerfristig bestehen bleiben, welche zurückgenommen und welche Möglichkeiten der Mitbestimmung hat das Volk hierbei? Sind durch die neu-geschaffenen Ergänzungen des Infektionsschutzgesetzes Möglichkeiten einer willkürlichen Machtausübung gegeben, und vor allem: Ist der ergänzende Paragraph 28a überhaupt rechtens? Wie werden die durch die Krise entstandenen Verluste kompensiert? All das bedarf einer dringenden Klärung und umfassender Analyse.

Ein weiteres Themenfeld, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken müssen, ist das der Sprache. Um einen diskursiven Raum in der Gesellschaft zu ermöglichen, benötigte es das, was Hegel die „Anstrengung des Begriffs“ nennt. Denn nur wenn Begriffe als solche eindeutig geklärt und definiert sind, können Fehlentwicklungen vermieden werden, bei denen negativ-konnotierte Begrifflichkeiten in falschem Kontext angewendet bzw. positiv-konnotierte in ihr Gegenteil verkehrt werden. Sprache ist immer ein Mittel zur Sicherung von Herrschaftsverhältnissen, und indem sich Partikulär-Gruppen ihrer bemächtigen und sie im wahrsten Sinne des Wortes „umdeuten“ bzw. damit eine andere Partikulär-Gruppe stigmatisieren, kann sich gesellschaftlicher Diskurs nicht mehr vollziehen. Mit anderen Worten: Es findet das statt, was Chomsky „Propaganda“ und Ganser „Framing“ nennen. Wenn wir dies durchdringen, wird schnell klar werden, dass nicht jeder Demonstrierende ein „Corona-Leugner“, sondern die Mehrzahl „Kritiker der Regierungsmaßnahmen“ sind. Das ist ein großer Unterschied. Auch wenn Corona ein besonderes Maß an Umsicht und Sicherheit benötigt, darf dies nie demokratische Grundpfeiler angreifen, die die Fundamente unserer Wertvorstellungen bilden. Das wäre fatal für uns alle.