Requiem auf unsere verlorenen Ideale

„Der Traum ist aus.“ (Rio Reiser)

Sagen Sie mir: In welchen Zeiten leben wir eigentlich? Oder um die Frage weniger rhetorisch klingen zu lassen: Ist Ihnen nicht längst schon bewusst, dass irgendwas, wie dieses irgendwas auch immer aussehen mag, fehlt? Wir leben in einer Welt des Scheins, in der das Produkt selbst wichtiger geworden ist als jene, die es konsumieren. Gleichzeitig sind wir, wenn überhaupt, nur wichtig als Konsumenten, als getreue Produktevangelisten, die in ein System hineinsozialisiert werden, das die absolute Freiheit suggeriert, ohne nur eine Ahnung davon zu haben, was echte Freiheit eigentlich ist und was sie bedeuten würde. Denn der Wert Freiheit wird verklärt zugunsten eines dem gerade gültigen Narrativ folgenden Beißreflexes, der weder reflektiert, noch mit echten Werten daherkommt. Das Narrativ selbst entlarvt sich bei genauerem Hinsehen als eine plumpe Erzählung – von Corona, vom Ukraine-Krieg, von der Klimakrise und so fort – die auf Emotionalität und Verkürzung, statt auf Objektivität und Erklärung setzt. Die Erzählung wird zum Produkt, zur komischen Oper, mit Anfang, Mittelteil und einem Ende. Erzählt wird diese Erzählung von gleichgeschalteten Medien, die ihre Aufgabe darin sehen, den gesellschaftlichen Status Quo zu erhalten und zu stabilisieren. Sie bestimmen das, was erzählt wird genauso wie die Art des Erzählens selbst. Es geht ums Erzählen, nicht um die Wahrheit.  

Die Tragik in unserer Zeit ist nun, dass wir selber völlig verlernt haben, dieses Schauspiel des Gesamten zu entlarven. Die Mehrheit erkennt nicht, dass das Leben in der materialistischen Warenwelt, in der alles eine Ware und eine Ressource darstellt, alles verfügbar, immer und zu jeder Zeit, ein Trugbild ist. Wir hechten ihm nach wie einer Fata Morgana, ohne dies selbst wahrzunehmen, außer vielleicht, wenn wir eine tiefe innere Leere spüren, die uns manchmal übermannt.

Wir wissen es längst nicht mehr und haben vergessen. Vergessen wie eine authentische Welt aussehen könnte – eine Welt, in der nicht der Konsum zum goldenen Kalb ernannt wird und wir alle dessen gläubige Jünger sind. Dieser Konsum ist so sehr in unser Innerstes vorgedrungen, dass wir ihn zur neuen Religion erwählen ließen und wir nehmen die Folgen billigend in Kauf.

Wissen wir denn überhaupt noch, wer wir sind oder sind wir längst Getriebene innerhalb eines Strudels der Oberflächlichkeit, in dem Besitz und Prestige mehr zählen als die Ratio, als das menschliche Sein und die Sinnlichkeit? Denn die Sinnlichkeit als unmittelbares Erleben und als Erfahrung unserer Umwelt, als die Wahrnehmung dessen, was uns umgibt, ist uns ebenfalls abhandengekommen, wurde ersetzt von einem Bildschirm, der uns Lebendigkeit vorgaukelt. Eine stupides Surrogat ist das – mit Influencern, den im Enddarm der kapitalistischen Produktionskette steckenden  Seelenverkäufern, die selbst die Opfer einer sich von sich selbst entfremdenden Scheinwelt sind. Übersättigt und realitätsfern, weit weg vom Leben selbst, spiegeln sie nur die Idee eines „Lebens von“, eines surrealen Entwurfs, überzeichnet wie in einem Gemälde von Salvador Dali. Doch möchten wir wirklich in einem Gemälde, in einem mit Filtern weich gezeichnetem Stilleben leben, in dem immer gelacht und – wenn – nur öffentlich geweint wird?

Wir verharren und verkrusten in einem „Immer weiter so“, in einem gesellschaftspolitischen Perpetuum mobile, mit politischen Repräsentanten, die keine Ahnung von dem haben, was ihr Tun oder Nicht-Tun bewirkt, weil sie weder moralisch noch gesellschaftlich verantwortungsvoll, stattdessen eindimensional und verantwortungslos handeln. Was repräsentieren sie, wen repräsentieren sie? Das Volk und dessen Interessen sind es nicht. Denn ferngesteuert von einem entrückten Global-Kapitalismus sind Warenströme und der Dauernachschub von A nach B und von West nach Ost wichtiger als jedes politisch vernünftige Ziel. Inklusive all der vielen transatlantischen Verflechtungen und Obligationen, die die zahnlose Riege der berufspolitischen Heerestreiber einging, um bittend und bettelnd an der Zitze des US-imperialistischen Systems zu saugen. Treu doof. Treu bis in den Tod der eigenen Soldaten. Opportun, flach und ohne hehre Ziele, außer dem der eigenen wirtschaftlichen Vollversorgung.  

Doch die Menge wählt sie trotzdem, weil auch die Polit-Darsteller Produkte der Medienindustrie sind, Produkte, die konsumiert werden: morgens beim Zeitungskauf oder abends im Internet. Aber eigentlich ist jedes Wort, das über sie, z. B.  eine Frau Baerbock, gesagt wird, verloren, weil dieses Personal austauschbar und unsagbar verräterisch ist. Unter seiner Ägide wird das Volk verraten und verkauft, und die Menge applaudiert und meint „he/she did a great job“, wenn Frontbesuche abgestattet werden und mit aufgesetzter Miene Traurigkeit vorgetäuscht wird, während andernorts Deutschland als bestens organisierter Rüstungsexporteur Frauen, Kinder und Männer ins Jenseits schießt und bombt. Eine pseudo-politische Kaste ist das, die Politik nicht macht, sondern in einem bereits vorgegebenen, in einem abgesteckten Claim der wirklich Mächtigen agiert und vorgibt, selbst mächtig zu sein.  

So zutiefst verlogen und amoralisch ist dieses System, dass es an einer Stelle von Moralität spricht, die es an anderer Stelle mit den Füßen tritt. Wichtig ist, dass wir alle mitmachen, dass wir alle betroffen sind, wenn diese Betroffenheit im Sinne der Regierenden ist. Einmal wieder die Ukrainische Flagge hochhalten, bitteschön, und am besten noch zig Tonnen Waffen liefern. Selbst eingefleischten Pazifisten wird das Putin’sche Feindbild so lange mit Hammer und Meißel in den Kopf gehämmert, bis diese bei einem Ringtausch an eine Heirat denken. Putin ist Böse, Selenskyj ist gut: Dieses zweigeteilte Weltbild ist es, was der schnöde Pöbel versteht und was man ihm vorsetzt als lauwarmes Kantinenessen.

Doch, wer kann ihm diesen Konformismus zum Vorwurf machen? Die Menschen der westlichen Hemisphäre  wurden ja reinsozialisiert in dieses System der „schönen neuen Welt“, wir wurden im Frontalunterricht nach wilhelminischem Vorbild auf Kurs gebracht. Zweigeteilt war die Welt für die meisten Rezipienten unseres Bildungssystems doch schon immer. Ein Bildungssystem, das die akademische Ausbildung als oberstes Ziel ansieht, gleichzeitig das Individuum so schnell wie möglich dem Markt zuführen möchte – als Human Ressource Mensch. Ausbildung statt Bildung, Gleichschaltung statt Individualität: Da schadet zu viel Freigeist nur, denn in einer Welt des globalisierten Konkurrenzdenkens sind andere Skills gefragt. 

Ganz egal was, das Kind soll studieren. Erst mal. Kein Wunder, dass die Bildungsindustrie allerlei phantasiereiche Studiengänge aus der Retorte hob. Vorbei die Zeiten, in denen man sich einer Profession oder einem altgedienten Fach oder einem Lehrberuf verschrieb. Alles und jeder soll heutzutage studieren, ob er will oder nicht, egal, ob er es weiß oder nicht, und wenn der Studiengang auch „Historisch orientierte Kulturwissenschaft“ oder gar Betriebswirtschaftslehre heißt. Es gilt, sich durch die akademische Bildungslandschaft zu mäandern, im vorberuflichen Wartesaal der verlorenen Träume, komme, was wolle. Wer braucht da schon Handwerk, wer braucht da schon Verkäufer, wer braucht da schon Pfleger? Das ist wohl der größte bewusst herbeigeführte Irrsinn unseres Bildungssystem: die einseitige Ausrichtung auf eine universale Akademisierung – von der Grundschule an. Dies führt nicht nur zu einer Verflachung der Lehre wie Adorno schon feststellte, sondern zwangsläufig auch zu Nachwuchssorgen – in allen anderen Berufsfeldern. Die Geister, die man rief. Und importieren müssen wir die echten Fachkräfte – so geht ja die Mär – von anderswo her.  

Sind wir erst einmal in dem bildungspolitischen Hamsterrad, hat uns die daraus resultierende Gesellschaftsordnung sehr schnell vereinnahmt. Eine Sozialisation zum Egomanen, zum Narzissten ist die Folge. Die „Zöglinge“ gehen so inhaltsleer und teilnahmslos aus dieser hervor wie die Generationen der letzten achtzig Jahre. Dieses Individuum kämpft für nichts als sich selbst, vertritt vielleicht nur einen schalen Beigeschmack der Werte, die früher, irgendwann einmal, gelebt worden waren. Die große Symbolik wird nur auf Social Media gelebt, die große Symbolik setzt an der Oberfläche an – und verharrt auch dort. Denn die „Jungen“ lassen sich wunderbar instrumentalisieren und vor den machtpolitischen Karren spannen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ganz nach dem Motto: Sind wir mal gegen Autorennen, weil das nicht gut fürs Klima ist, aber so ein bisschen Krieg gegen einen russischen Bösewicht, das muss sein.

Wer sagt, Teile der Jugend seien politischer als früher, dem kann ich nur entgegnen: Das, was da als politisch daherkommt, ist nichts anderes als ein realitätsfernes postpubertäres Aufbegehren, eine Haltung der Vorhaltung, ohne eigene positive Impulse. Größtenteils jedenfalls. Oder denken Sie, die juvenilen Krieger fürs Klima würden auch dann noch Abstriche bei sich selbst machen, wenn sie es wären, die die Steuern zahlen müssten, die sie fordern, wenn sie es wären, die eine Frau und fünf Kinder ernähren müssten, wenn sie es wären, die auf einen Arbeitsplatz in der Industrie angewiesen wären? Kurz gesagt ist es eine übersättigte Kaste an Wohlstandskindern, die sich das Fordern überhaupt erst leisten kann.

Doch was ist eigentlich deren Ziel? Wollen sie die Gesellschaft wirklich zum Guten verändern – Ansätze davon gibt es einige – oder geht es ihnen eher um das Schock-Momentum, darum, der breiten Masse den moralischen Zerrspiegel vorzuhalten, damit sich die alten weißen Männer mal richtig betroffen fühlen? Ich denke, es geht den Demonstrierenden jedenfalls nicht wirklich um das „Wohl der Menschheit“, sondern darum, sich selbst moralisch reinzuwaschen. Ihnen ist nicht oder nur teilweise bewusst, dass sie sich damit zu den Erfüllungsgehilfen globaler Konzerne machen, die nun endlich die Chance sehen, durch das Greenwashing ihrer Produkte, noch mehr Gewinne zu erwirtschaften.  Das Öko-Narrativ als Gelddruckmaschine, als Möglichkeit, die Masse zu Drangsalieren.  So einfach ist das.

Wir sind entrückt von uns selbst und merken es nicht mal, gefangen in einer Gegenaufklärung, die sich nur um sich selbst dreht – feingranular, irreführend, betäubend. Der Schutz der gesellschaftlichen Minderheiten ist in den Fokus gerückt, während dem Schutz des gesellschaftspolitischen Ganzen kein Platz mehr eingeräumt wird. Wir alle müssen so tolerant sein, ob wir wollen oder nicht. Ist das nicht zutiefst intolerant? Gendern wir uns irgendwann alle zu Tode?

Was, wenn ich nicht auf der Regenbogen-Welle mitsurfen wollte, wenn ich eine gewisse Form des Konservatismus durchaus guthieße, wenn ich nicht nur Putin als den einzig Schuldigen im Ukraine-Konflikt betrachtete, wenn ich fände, dass ein Staat Grenzen braucht, wenn ich der Meinung wäre, dass die Corona-Politik Deutschlands in weiten Teilen falsch und suppressiv gewesen wäre? Na, dann sollen Sie aber mal sehen, wie tolerant unsere Gesellschaft wirklich ist. 

Es kommen enorme gesellschaftliche Verwerfungen auf uns zu und zeigen sich bereits in ihren Anfängen. Dass jene, die sich da Regierende nennen, nicht mit adäquaten Antworten und – was wichtiger wäre – mit Problemlösungen reagieren, attestiert ihnen einmal mehr ihre Unfähigkeit. Indem jeglicher Prozess als monokausal (z. B. „die Inflation haben wir wegen des Ukrainekrieges“) und unausweichlich („alternativlos“ sensu Merkel)  „von außen“ kommend deklariert wird, spricht man sich als politisch Agierender von jeglicher Verantwortung frei und kann ungestört weiter in seiner Machtblase tönen. Und der Pöbel lässt es  zu.

Lässt es zu, als Bärbock’scher und Habeckscher Prellbock herzuhalten, für hohe Steuern, für unsinnige Sanktionen, die uns schaden, für Benzinpreise, für schwindende Sozialleistungen, die niedrigsten Renten in Europa, für ungebremste Zuwanderung, für Auslandseinsätze der eigenen Soldaten in Ländern, in denen sie nichts verloren haben.  Denn eigentlich ist uns das ja alles egal, wir sind träge, gesättigt, degeneriert und leer. So leer sind wir, dass wir nicht mehr erkennen, wer uns gut gesonnen ist und wer nicht, längst können wir die Welt nur noch in Schwarz und Weiß wahrnehmen – es gibt keine Nuancen dazwischen.

Alles, was inhaltlich ein Talk-Show-Format übersteigt, können wir nicht mehr erfassen, wir sind angewiesen auf gut bezahlte Tagesschau-Kommentatoren, die uns ihre Welt erklären, aufs Polarisieren, aufs Diskreditieren und auf das gedankenlose Wiederkäuen der Standpunkte der anderen, ohne eine Haltung zu etwas zu haben, die auf Erkenntnis fußt. Anne Will es, dann soll sie es haben und wenn Markus eine Lanze fürs Establishment bricht, so ist der TV-Abend mal wieder gerettet. Da darf auch ruhig einmal ein Schlipsträger über die Möglichkeit eines Atomkrieges sinnieren, ohne unmittelbar und aus gutem Grund aus der Sendung geschmissen zu werden. Let us entetain you – auch wenn aus der Unterhaltung schnell Ernst werden könnte.

Mit der Materialisierung der Welt ging ihre Entgeistigung einher – und damit wiederum die Verbannung der unmittelbar sinnlichen Erfahrung des Seins. Wir haben verlernt, auf unsere innere Stimme zu hören, auf eine in uns gereifte und evolutionsgeschichtliche Instanz der Vernunft. Eine Entnaturalisierung hat Einzug gehalten, ein inneres Vakuum sich gebildet, das mit Ersatz gefüllt werden will – mit dem Kick, dem Happening, dem Event, dem Amüsement als Mittel der Zerstreuung. Wir verlieren uns und haben sogar Spaß daran, denn eigentlich wollen wir uns gar nicht finden. Religion – ein Vakuum. Bindung – lästig. Beziehung – nur bei schönem Wetter.

Alles und jeder will frei sein, doch in Wahrheit ist jeder halt- und bindungslos, gefangen in einem gottlosen Paradies, in das wir gar nicht wollten. Und vielleicht ist es ja diese Gottlosigkeit, die uns die Träume geklaut hat oder die Idee davon, wie ein besseres Leben hätte aussehen können. „Der Traum ist aus“, sang Rio Reiser damals, aber was, wenn wir ihn schon längst aufgegeben haben zu träumen?

Wir sind Getriebene, die es nicht mal mehr wissen, wohin die Reise geht, ist uns völlig egal. Anders lässt sich diese echte politische Teilnahmslosigkeit der breiten Masse, die selbstgerecht im eigenen Sud dahinköchelt, wirklich nicht mehr erklären. Politische Teilhabe meint dabei nicht einmal, das Philosophien im akademischen Elfenbeinturm, sondern ein echtes Interesse zu haben, was uns umgibt, was wir uns und unseren Kindern aufbürden und die Bereitschaft, dies selbst zu verändern. Nichts ist im Leben alternativlos, außer der Tod. Doch wollen wir schon zu unseren Lebzeiten die Walking Dead sein? Zeigt uns nicht ein Blick ins politische Tagesgeschehen, dass dies, was hier passiert nicht „gut“ sein kann? Doch außer einem stillen Groll in uns selbst und einer weiteren repräsentativen Demo wird nichts geschehen. Wir verharren, statt zu handeln, reden, statt zu tun.   

Was wäre also nun, wenn an die Stelle dieses Vakuums ein wirklich starker neuer „Führer“ treten würde? Wie auch immer diese Macht aussähe? Wären wir für dessen Worte nicht empfänglich? Würden wir ihn nicht genauso gewähren lassen wie  unsere sogenannten Politiker jetzt? Das scheint wohl unsere Natur zu sein, der Wunsch zur Unterordnung, die Degradierung zum Befehlsempfänger – das hat ja nicht erst Corona gezeigt. Wir wollen aufgehen in der Menge, ein Teil von ihr sein, individuell nur im Kleinen, uniform im Großen. Wir verharren. Was da auch kommt. Wer da auch kommt. Wir sind die Walking Dead. Laufen wie die Duracell-Hasen von da nach dort, ohne Heimathafen, immer auf der Suche nach Geborgenheit in einer verlorenen Welt der Masken, in einer Welt der Waren, in einer Welt, in der wir uns fremd und zugleich zu Hause fühlen. Alles ein Surrogat, Artefakte einer dekadent gewordenen Zeit, die sich selbst in ihren Superlativen überholt. The dream is over before it has started.

Eine lustige Lach- und Sachgeschichte über Akkus, E-Autos und Peter Lustig

Als kleiner Junge spielte ich früher sehr gerne mit meiner Modelleisenbahn, einer schwarzen Dampflok, die zu einem Märklin-Set mit blauem Trafo gehörte. Drehte ich den roten Zeiger des Trafos nach links, fuhr die Lok schneller. Ganz einfach. Und dass die Schnelligkeit des Spielzeugs irgendwie mit dem zu tun haben müsse, was da aus der Steckdose kommt, war mir schon als Pimpf klar. Heute spielen weit weniger Menschen mit Modelleisenbahnen, glaube ich. Jedenfalls liegen sie längst nicht mehr im Trend, wurden womöglich von Spielekonsolen und, wie man heutzutage sagt, hippen Sportarten abgelöst. Nur die Elektrizität ist noch immer trendy. Viele wollen Elektro-Autos, wenn auch nur wenige von ihnen sich eins leisten können. Wenige von denen, die sich eins leisten können und kaufen wollen, machen sich jedoch bewusst, dass der Strom dafür, wie bei der Modelleisenbahn damals auch, noch immer aus der Streckdose kommt, und irgendwo anders produziert werden muss. Er wartet ja nicht schon vorher in der Steckdose darauf, dass er endlich weiterfließen darf. Dafür müsste er nämlich gespeichert werden, und dafür braucht man einen Akku – was so wohl auch schon der gute Peter Lustig erklärt hätte, hätte man ihn dazu befragt und hätte es E-Autos schon zu seinen Zeiten gegeben. Gott hab ihn selig. Anders als die Steckdose daheim, besitzen die leisen E-Autos sehr wohl Akkus, auch wenn die Art, wie die Edelmetalle für die mit ihnen angefüllten mobilen Speicher abgebaut werden, umweltzerstörend ist.

Zu den Ingredienzien der Akkus zählt unter anderem Lithium, das zwar ein Leichtmetall, aber nicht gerade leicht, beispielsweise in Rüsselsheim oder Sindelfingen, zu finden ist, sondern viel weiter weg, in einem großen Salzsee in Bolivien beispielsweise. Von dort aus muss es über den Pazifik zu uns verschifft werden, mit Schiffen, die nicht elektronisch, sondern mit Schweröl angetrieben werden, damit man die Akkus dann mit einem dieselbetriebenen LKW in die Akku-Fabrik bringen kann. Und weil sich immer mehr Leute denken, dass sei eine hervorragende Idee, mit einem leisen E-Auto rumzufahren, dessen Akku-Innereien aus Bolivien, dem Kongo und aus anderen fernen Ländern stammen, steigen auch die Preise für die Rohstoffe, den Strom und damit auch für die E-Autos. Wo wir gerade beim Thema steigende Preise sind: Da es ja die Regierung für einen ziemlich grandiosen Einfall hält, die benzinbetriebenen PKW, die in Rüsselsheim und Köln, wie man mir sagte, noch immer gebaut werden, den Garauszumachen, steigen nun auch die Benzinpreise. Steigen nun höher, kann man da nur sagen, denn steigen tun sie schon lange. Auch wenn das die olivgrünen Grünen – denn wirklich grün sind die Grünen ja nicht, sonst hätten sie damals im Jahr 1998, nicht für den Kriegseinsatz im Kosovo votiert, wo doch jedes Kind weiß, dass Krieg weder gut für Menschen, noch für die Umwelt ist – richtig klasse finden, ist das für die meisten Menschen, die keinen Chauffeur haben und nicht von Steuergeldern leben, nicht sehr toll.

Anders als die Abgeordneten des Bundestages, die sich der Rundum-Finanzierung ihrer wirtschaftlichen Vollversorgung gewiss sein können, hat dieses Privileg der materiellen Sicherheit das Gros der Bevölkerung nicht. „Aber die wurden doch gewählt – die Grünen“, höre ich die systemtreuen Auguren raunen. Doch bei sechzehn Prozent Wählerstimmen von einem erteilten Regierungsauftrag auszugehen, halte ich für verfehlt. Weder die grünen Parteiakteure in persona noch das Parteiprogramm spiegelt die Mehrheitsinteressen der Bevölkerung wider. Als Klientel-Partei richten sich die Grünen mit ihrem Maßnahmen-Katalog vielmehr nach der Lebenswirklichkeit einer besserverdienenden, größtenteils akademischen Kaste aus, die sich mittels CO2-Steuer und teils staatlich gepushter Rohstoffpreise von ihrem schlechten Gewissen loskaufen möchte, mehrmals im Jahr in Urlaub zu fliegen und manchmal vielleicht doch noch den Range Rover aus der Garage „rauszulassen“. Im 15. Jahrhundert hatten wir das Thema freikaufen von Sünden ja schonmal. Ablasshandel hieß das in jenen Zeiten.

Aber nochmal zurück ins Hier und Heute. Denn heute stehen die Grünen nun mal da, wo sie stehen: an der Schwelle in den parlamentarischen Öko-Olymp und das als ehemals Strickpullis und Turnschuhe tragende Oppositions-Protestbewegung der 1980er. Die Metamorphose zur Mainstream-Partei mit Mit-Regierungsverantwortung wäre damit dann endgültig vollzogen.

Angesichts dieses quasi-epochalen Ereignisses in der Grünen-Geschichte ist es nur logisch, dass gerade solche profillosen Persönlichkeiten – mögen sie nun Baerbock oder Harbeck heißen – als Kanzler-Kröner in der ersten Reihe stehen. Denn erst ihr Pragmatismus, ihr unbedingter Wille zur machtpolitischen Einflussnahme, kombiniert mit dem wortlosen Versprechen, die grundlegenden Machtstrukturen im Land weitestgehend unberührt zu lassen, ließ sie auf die Pole-Position aufrücken. Und zwar – um den Buchtitel von Mit-Herausgeberin Baerbock zu zitieren – jetzt. Leider.

An den echten Bedürfnissen der Menschen weiter vorbeiregieren wird man – da werde ich nun selber zum in moll gestimmten Auguren – sowieso. Auch wenn sich jetzt selbst die Mainstream-Parteien wie CDU und SPD als Öko-Heilsbringer aufspielen, so mag man ihnen allen die Master-Fragen stellen: Warum nicht früher? Wo waren sie, eure Konzepte, all die Jahre? Was hat euch denn so lange davon abgehalten, etwas zu unternehmen? Aber Systeme neigen ja bekanntlich dazu, sich zu erhalten. Genauso wie die alten Machteliten, die uns jetzt Glauben machen wollen, plötzlich sei Umweltschutz neu und nur über die Ausbeutung der Unter- und Mittelschicht finanzierbar.

Leider haben diese Paradoxie des parlamentarischen Systems, das von den Systemmedien weitwestgehend flankiert und gestützt wird, nur wenige verstanden. Viele hingegen neigen zur Verdrängung, und vergessen dabei, wer sie in Sachen Öko-Diktatur erst dorthin gebracht hat, wo sie gerade stehen. Sie üben sich im Konformismus, gehen klaglos tanken, auch wenn der Sprit pro Liter an der zwei Euro-Marke kratzt.

Worin der in vielen Menschen angelegte Konformismus gründet, mag ich nur vermuten. Vielleicht in einem entwurzelten Verständnis dessen, was Demokratie wirklich bedeutet und was es heißt, für sie einzutreten. Vielleicht aber auch in der Bequemlichkeit, sich lieber ins Private zurückzuziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Vielleicht liegt die Passivität auch daran, und das halte ich für die wahrscheinlichste aller diesen Prozess bestimmenden Variablen, dass Menschen sich gerne an scheinbar starken anderen Menschen orientieren und sich schlimmstenfalls sogar mit ihnen identifizieren, ob sie nun Scholz, Schröder oder Merkel heißen. Die Psychoanalyse nennt sowas Ähnliches die Identifikation mit dem Aggressor.

Worin auch immer der Hang der Mehrheit zum Konformismus und deren Wille zur Leugnung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten begründet liegt: Eine Rechtfertigung für ihr Handeln bietet ihr dessen Analyse allein nicht.

Statt uns von oben herab regieren zu lassen, sollten wir verstehen, dass uns dieses System aus Berufspolitikern über kurz oder lang genauso ausbeutet wie den Salzsee in Bolivien. Da sind die Namen seiner Rerpäsentanten nur Schall und Rauch.  Dieses System ist weder menschen-, noch umweltfreundlich. Alles andere ist Täuschung.

Was wohl Peter Lustig über die E-Autos gesagt hätte? Bestimmt hätte er da wieder seinen altbekannten finalen Appell auf den Lippen, der da lautet: Abschalten!