Kennen Sie eigentlich Matthieu Ricard? Wenn nicht, dann will ich Ihnen diesen Menschen vorstellen. Ricard, das ist ein französischer Philosoph – Molekularbiologe und buddhistischer Mönch. Ganz nebenbei fotografiert er übrigens auch noch. Da er als offizieller Übersetzer des Dalai Lama tätig ist und in Nepal lebt, bieten sich ihm auch entsprechende Motive. Dieser interessante Mensch hat sich Gedanken darüber gemacht, was Altruismus, also Selbstlosigkeit, eigntlich ausmacht. Seine Thesen* finde ich sehr inspirierend und möchte sie daher an dieser Stelle zusammenfassend darstellen. Demnach ist unsere „wechselseitige Abhängigkeit “ die eigentliche Grundlage unseres Altruismus. Kurz: Der wahre Altruist hat erkannt, dass er in einer Gesellschaft eingebettet und auch abhängig von Anderen ist.
Dem gegenüber steht der Egozentrismus, der nach Ricard die Basis dafür darstellt, „sich und den Anderen ein erbärmliches Leben zu bescheren.“ Der Egoist ist verletztlich und sucht Schutz in der Blase seines eigenen Egos, wo Erfolge und Misserfolge für ihn eine unglaublich hohe Bedeutung bekommen.
Altruismus hingegen steht im Einklang mit der Interdepenz, mit dem Wunsch der Menschen nach Glückseeligkeit (gr. Eudaimonia), mit dem Bewusstsein von den Anderen. Dabei zählt die altruistische Liebe zu den positivsten aller Gefühlsregungen. Zwar ist der echte Altruismus schwer festzumachen, allerdings gibt es ja tatsächlich Situationen, in denen sich Menschen selbstlos verhalten. Ricard spricht sich nebenbei gegen die Existenz eines universellen Altruismus aus. Dieser geht davon aus, dass Menschen nur selbstlos sind, um sich selbst besser zu fühlen.
Es gibt, so stellt Ricard klar, verschiedene Unterarten des Altruismus. So ist die Mutterliebe als solche beispielsweise in einem bilologischen Altruismus begründet – also in einem biologisch angelegten Schutzinstinkt der Mutter gegenüber dem eigenen Kind und in der bedingungslosen Liebe der eigenen Nachkommen. Von diesem ‚Grundaltruismus‘ kann jedoch ein übergreifender Altruismus entspringen. Damit widerspricht Ricard der Theorie des egoistischen Gens von Richard Dawkins, der von einem kompetetiven und stets selektiven Verhältnis allen Lebens ausging.
Alleine durch Training und Meditation kann man seinen Altruismus weiterentwickeln und schulen, der die eigenen Grenzen sprengt. Genau das beweisen neueste Forschungen auf dem Gebiet der Neuroplastizität, die zeigen, dass sich unser Gehirn durch intensives Gefühls-Training verändert. Ich muss gestehen: Ich kannte diese Studien bereits von Geigern, Sportlern usw. Dass allerdings durch Gefühltraining möglich wird, sogar innere Haltungen nachhaltig zu verändern und beispielsweise empathisches Verhalten ausbilden kann, das hat mich erstaunt.
Untersucht wurden im Rahmen der Studien Menschen, die schon seit rund 30 Jahren meditiert haben. Bei ihnen hat man (unglaublich aber wahr) eine deutliche Veränderung der Gehirnaktivität bei der Meditiation über altruistische Liebe festgestellt, die in ihrer Intensität teilweise bis zu 1000mal stärker war, als bei nicht meditierenden Menschen. Mitgefühl ist damit keine spontane Gefühlsregung mehr, sondern ist etwas, was zur eigenen Lebensweise wird und sich auch organisch manifestiert.
Fazit: Grundmotiv des Altruismus ist, dass alle Lebewesen frei sein wollen von Leid. Er ist damit unabhängig von moralischen Kategorien, d. h. von erwarteter Bestrafung oder gar Belohnung. Ricard fundiert diese Aussagen damit, dass es immer wieder Menschen gibt, die anderen helfen – ohne Aussicht auf Belohnung oder Anerkennung, völlig selbstlos. Hier kann man dann quasi von dem authentischen Altruismus, sprechen, der sich erlernen und schulen lässt und den es zu erstreben gilt.
Mein persönliches Fazit: In den heutigen Zeiten ist es keineswegs einfach, in sich den Keim des wahren altruistischen Handelns überhaupt noch zu bewahren bzw. überhaupt auszubilden. Was Ricard und Enthoven diskutieren ähnelt daher eher einer Begriffsdiskussion, die die Motivation von wirklichem, zweckungebundenen Handeln, nicht zu entschlüsseln vermag. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Altuismus eben nur im Handeln selber manifestiert, ohne dass wir jedoch über die Bewegründe der handelnden Person Auskunft erhalten. In der Sozialpsychologie hat man genau das erkannt und statt des Altruismus-Begriffs, den Begriff des prosozialen Verhaltens eingeführt. Auch die retrospektive Eigenbetrachtung durch die handelnden Person selbst vermag uns da nicht wirklich weiterzuhelfen. Was also meint Ricard, wenn er von einem echten, einem wahren Altruismus spricht? Wenn wir uns die verschiedenen Unterarten des Altruismus vor Augen führen, meint er sicherlich eine Art verinnertlichten Altruismus einer höheren Stufe, der auch gänzlich ohne ethische Qualifilkation gilt. Ob es uns jedoch vergönnt ist, in die von Ricard skizzierten höheren Sphären des Bewußtseins vorzustoßen und somit zum wahren Altruisten zu werden, bleibt abzuwarten.
*zusammengefasst aus der Arte-Sendung: „Philosophie – Altruismus“
Raphaël Enthoven diskutiert mit Matthieu Ricard zum Thema „Altruismus“: http://videos.arte.tv/de/videos/philosophie_altruismus-3821786.html