Wie sagte Aulus Gellius so teffend: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Und so streben wir in unserem Alltags-Trott fort, pendeln zwischen Arbeitsstelle und Zuhause hin und her – bereisen zwei, drei oder mehr Lebenswelten, die für viele längst nur noch zu Durchgangs-Stationen geworden sind. Doch die Zeit entrinnt und schlimmstenfalls erleben wir uns schon längst nicht mehr als aktiv Handelnde. Der Soziologe Fritz Schütze würde wohl sagen, dass man in diesem Moment zum passiv Erleidenden Subjekt wird, dessen sogennante Verlaufskurve tendenziell negativ verläuft.
Es geht, so scheint es mir, darum, die eigene Umwelt, das, was uns umgibt aktiv warzunehmen – immer und jeden Tag. Das hat wenig mit den Verheißungen der sogenannten Ratgeber-Literatur zu tun, als vielmehr mit einer Form der inneren Ausgeglichenheit und Ruhe. Haben wir uns als Kinder nicht genau in der uns umgebenden Lebenswelt ausgekannt? Damals, als wir mit unseren Fahrrädern nur bis zum Punkt X fahren durften, da wussten wir noch, wenn gegenüber eine neue Familie einzog und nahmen auch wahr, wenn die Wiesen, auf denen wir spielten, einen frühlingshaften Duft verströmten. Die Jahreszeiten waren für uns in dieser Zeit noch unmittelbar wichtig, denn ob es kalt oder warm war oder regnete und schneite, entschied unmittelbar darüber, ob wir draußen toben durften oder eben nicht.
Und die Welt draußen, die hatte wirklich viel zu bieten und war unser kleiner großer Kosmos, in dem wir Staudämme bauten und auch so manches Ungeheuer unter alten Kanaldeckeln wähnten. Diese mystische Kinderwelt hatte vielleicht einen Radius von drei Kilometern – sie war aber unsere unmittelbare Lebenswirklichkeit, in der wir erfuhren, was Freundschaft, Freude und Glückseligkeit heißt. Strukturiert wurde diese Zeit vom Rhytmus der Mahlzeiten und den abendlichen Besuchen des Eismanns, der mit einem alten grün-roten VW-Bus die Viertel der Stadt bereiste. Das Geläute seiner Glocke deutete uns an, dass der Tag bald vorüber sein würde.
Eine echte Kassette: So hörte man damals Musik.
Auf der Wiese, auf der wir zuvor Fußball gespielt hatten, fanden sich nun einige Erwachsene ein, die sich im Lichte der letzten Sonnenstrahlen noch ein paar Bälle zukickten. Und die Großfamilie von gegenüber feierte mit Schlagern, die man von einer Kassette (sowas gab’s damals noch) abspielte, den Abend und beschallte zum Leidwesen einiger (Spieß-)Bürger die Umwelt.
Sommerhit des Jahres 1987 – Die Berliner Band ‚The Other Ones‘ mit ,Holiday‘
Der Abenteuer-Spielplatz, auf dem ich aufwuchs, hatte aber noch weit mehr zu bieten. So verbrachten wir Wochen damit, die wenig befahrenen Straßen mit unseren Skateboards herunterzubrausen, mit unseren Kettcars die Garagen-Einfahrten der Nachbarschaft unsicher zu machen, Löcher zu buddeln und vieles mehr.
All meine kleinen Anekdoten sollen Ihnen zeigen, dass sich alles im Leben ändern kann, keine Variable ist konstant. Keine – außer die der Zeit – die uns unaufhöhrlich entrinnt – und in deren Schatten uns irgendwann unsere Lebensbilanz präsentiert wird… Wie es Michael Ende, der Schöpfer der zeitsuchenden Momo, treffend formuliert: „Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot. “ Da hat er recht…