Kommunikation ist alles…

Alle Besitzer eines Smartphones kennen dieses Phänomen wahrscheinlich: Sie haben um 15.00 Uhr einen Arzttermin und müssen notgedrungen noch ein paar Minütchen im Wartezimmer verbringen, umringt von Unbekannten verlieren Sie sich sogleich in einer Pseudo-Anonymität, die Sie zermürbt und innerlich zu zerreißen droht… Früher war es da der Griff zur Zeitschrift, die mittels Lesezirkel ihren Weg in die Mitte des Wartezimmers und so in unseren Aufmerksamkeits-Radius fand, mit dessen Hilfe wir uns dem psychologischen zwanghaften Sitting-In-Trauma entzogen. Immerhin musste man ja, sofern man seinen Termin wahrnehmen wollte, einen gewissen Zeitraum mit diesen hustenden und oftmals seltsam riechenden Menschen an Ort und Stelle verbleiben. What a pity, wie die Engländer sagen…

Ich persönlich bevorzugte in diesen Zeiten übrigens die Print-Auswüchse der Yellow-Press, vorzugsweise BUNTE und GALA, die den deutschen Markt mit ihren leichten und partiell erlogenen Sujets über Stars und Sternchen überfluteten. Ja: Das war tatsächlich ein durchaus angenehmer Zeitvertreib für mich und letztlich ein ungeheurer Kontrast zu Habermas‘ „Erkenntnis und Interesse“ oder Chomskys „Rules and Representations“ beispielsweise. Die beiden Theoretiker hätten wohl, vorausgesetzt mein spezielles Wartezeiten-Überbrückungs-Hobby wäre jemals zu ihnen vorgedrungen, praktisch eigenhändig sofort alle ihre Werke aus meinem Bücher-Regal geworfen.

Doch heutzutage, im Zeitalter der totalen Mobilität, wird es uns, den misanthropen Zwangsneurotikern, da noch leichter gemacht. Denn mit einem Griff in die Hosentasche ist es da: Unser Lean-Back-Device, unser Draht zur digitalen Welt, unser Beziehungs-Kitter und Beziehungs-Killer – unser Handy. Fühlen wir uns erst einmal allein, gelangweilt oder wollen einfach nur besonders busy tun, wagen sich unsere Hände quasi selbständig in die konspirative Welt unserer Hosentaschen vor, tasten sich vorbei an Zigarettenschachtel, Taschentüchern und Feuerzeug, bis sie es dann sogleich zielsicher hervorziehen ins Tageslicht. Die Zeitschriften sind zwar noch immer da, aber vergilben infolge des erlernten Verhaltens und der damit verbundenen Konditionierung einsam vor sich hin. Wann immer uns eine Situation Raum zu einer sozialen Begegnung, im eigentlichen Sinne des Wortes, böte – in U-Bahnen, Aufzügen oder an Bahnsteigen beispielsweise – flüchten wir also in die Welt der Bits and Bytes, überfordert vielleicht von so viel Begegnung und plötzlicher Nähe.

Gott sei Dank bieten die kleinen elektronischen Alleskönner viele Fluchtmöglichkeiten: Ob sogenanntes Soziales Netzwerken, recherchieren irgendwelcher ganz wichtigen Begriffe auf Wikipedia oder einfach nur sinnloses Googlen: Tippen, oder vielmehr „touchen“, gehört mittlerweile wohl wirklich zum guten Ton aller Lückenfüll-Aktivitäten. Während zunächst nur die sogenannte Digitale Bohème die Notwendigkeit des mobilen Surfens erkannte und die damals noch waghalsig überzogenen Preisvorstellungen der Netzbetreiber als notwendiges Übel akzeptierte, hat sich das Surfen on the road mittlerweile zum Massenphänomen entwickelt und spiegelt wie keine andere Spielart der Kommunikation den inharänten Wunsch der Menschen nach einem permanenten Update, nach Kontakt und Nähe wider – bei gleichzeitiger Negation des realen sozialen Raumes mit all seinen Akteuren.

So füllen wir also die Zeit, die wir haben, aber eigentlich nicht wollen, mit sinnlosen Recherchen, schauen, ob es da jetzt endlich eine neue Nachricht auf Facebook für uns gibt, checken E-Mails, banken online, skypen und sind sehr kommunikativ, nur um mit denen, die uns da gegenüber sitzen, nicht kommunizieren zu müssen. An einem Gespräch „in real“ – daran kann wirklich niemand ernsthaft interessiert sein, oder? Ach ja: Wie sagte der gute Watzlawick noch gleich: Man kann nicht nicht kommunizieren!

Autor: Andreas Altmeyer

Autor, Friedensaktivist

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