Die Theorie der technologischen Singularität ist nicht neu und greift eine populäre Idee auf, die wir schon längst aus dem Kino kennen: Die Maschinen haben die Macht und bedrohen unser Dasein… Doch was ist wissenschaftlich dran an der Hypothese?
Interessanterweise stieß ich vor kurzem auf das Konzept der technologischen Singularität. Während mir die Singularität als solche bereits aus der Systemtheorie bekannt war, ist sie im technologischen Kontext Teil der Futurologie und bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem sich Maschinen via künstlicher Intelligenz selbst verbessern können und eine Eigendynamik entwickeln.
Die Grundannahmen der Theorie stützen sich darauf, dass sich Technik und Wissenschaft seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte immer schneller weiterentwickeln. So verdoppelt sich die für 1.000 US-Dollar erhältliche Rechenleistung alle 18 Monate (vgl. GORDON MOORE). Diesem exponentiellen Wachstum der künstlichen Leistungsfähigkeit steht eine weitestgehend konstante Leistung des menschlichen Geistes gegenüber. RAYMOND KURZWEIL beziffert die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns auf 10.000 Terraflops – und die wurden von einigen Supercomputern schon erreicht. Alleine die Leistungsfähigkeit als Gesamtgröße zu nennen, reicht hier jedoch nicht aus. Vielmehr kommt es auf die Vernetzung, auf das Verpacken relevanter Operationen in diverse Algorithmen und die daraus resultierende Eigendynamik – oder auch Denkfähigkeit – des Systems Computer an. Immerhin ist ja die Reflexivität (vgl. hierzu auch PIAGET, MEAD et. al.) – also die Fähigkeit, Distanz zum Selbst aufzubauen und Sachverhalte auf diese Art zu betrachten, dafür eine Basisvariable.
Was geschieht in dem Moment, in dem Maschinen anfangen, zu denken? Wie müssen wir ein ‚Ding‘ betrachten, dass seine Entscheidungsprozesse, seine Urteile und seine Handlungen völlig ohne die uns bis daher bekannten Grundgrößen – wie Sozialisation, soziale Gruppierung, persönliche Erfahrung usw. – trifft? Auch damit haben sich einige Theoretiker schon befasst. So schrieb I. J. GOOD 1965:
„Eine ultraintelligente Maschine sei definiert als eine Maschine, die die intellektuellen Fähigkeiten jedes Menschen (…) bei weitem übertreffen kann. Da der Bau eben solcher Maschinen eine dieser intellektuellen Fähigkeiten ist, kann eine ultraintelligente Maschine noch bessere Maschinen bauen (…). Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat.“
Auch VERNOR VINGE sprach bereits in den 80er Jahren von einer Singularität. Von ihm stammt die Prognose, dass wir „innerhalb von 30 Jahren über die technologischen Mittel verfügen, um übermenschliche Intelligenz zu schaffen. Wenig später ist die Ära der Menschen beendet.“
In seinem Artikel „The Law of Accelerating Returns“ stellt RAYMOND KURZWEIL 1993 die These auf, dass das Moorsche Gesetz ein Spezialfall ist und dass eben dieser für die gesamte technologische Entwicklung gilt.
Die These der technologischen Singularität ist also alles andere als neu und – das muss gesagt werden – schaut man sich im Netz ein wenig um, so spinnen sich rund um Kurzweil et al. einige Endzeitgläubige ein perfides Netz, das aus Verschwörungstheorien, Apokalypse und Mad Max-Fantasien geknüpft ist.
Nichts desto trotz wirft die sprunghafte technologische Entwicklung einige philosophische Fragen auf, denen wir uns ernsthaft widmen müssen. Es wird in nicht ferner Zukunft darum gehen, sich mit einer neuen dinghaften Wesensform auseinanderzusetzen – wie auch immer diese dann aussehen mag. Diese neuartige Wesensform könnte tendenziell zu einem Bruch in der bisherigen Menschheitsgeschichte führen. Man stelle sich vor: Eine Art Super-Maschine kontrolliert die Gesellschaft und strebt vielleicht das Ziel an, das auch uns Menschen zur Selbsterhaltung dient: die Reproduktion. Wir werden also nicht umhin kommen, uns dieses gesellschaftlich völlig neuartige Szenario auszumalen – vielleicht ganz à la Matrix. Wird es künstliches Bewusstsein geben, und wenn ja, wie wird dieses aussehen?
So ist es seltsamerweise gerade das Streben des Menschen nach Entlastung, dass seine eigene Beschränktheit maßgeblich aufzeigt und wohl irgendwann auch seine Existenz bedrohen könnte. Andererseits bietet das humanistische und maschinelle Miteinander vielleicht auch Chancen, die zur gesellschaftlichen Entwicklung führen. Man stelle sich vor: Maschinen, die sich uns in ihrer Appearance anpassen und uns imitieren.
Die technologische Singularität ist – Gott sei Dank – (noch) ein theoretisches Konzept.
Warum nur fällt mir dazu immer wieder folgender Vers ein?
„Und sie laufen! Naß und nässer,
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsätzliches Gewässer!
Herr und Meister hör mich rufen! –
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“
(Goethe, Der Zauberlehrling)