Obama-Rede: Präsident im Zwiespalt

Nun hat der amerikanische Präsident Barack Obama also in seiner lang erwarteten Grundsatzrede ein Dekret erlassen, das besagt, dass die amerikanische Auslandsspionage ausschließlich der Wahrung nationaler Interessen dient. Gut, wer hätte das je bezweifelt. Auch wenn Obama deutlich machen wollte, dass die Vereinigten Staaten keine „einfachen Leute“ ausspionierten, spiegeln die inhaltlichen Aussagen des Präsidenten klar die Differenzen zwischen US-amerikanischer Selbst- und westeuropäischer Fremdwahrnehmung wieder. Kein Wort zum Abhörskandal des Merkel’schen Handys, kein Hauch einer schuldbewussten Katharsis. Ganz im Gegenteil: „Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, weil unsere Dienste effektiver sein mögen“, so Obama weiter. Auch wenn unsere Bundesregierung die Rede Obamas scheinbar als positiv wertet – aber was soll sie auch sonst schon tun, als fatalistisch den amerikanischen Hegemonie-Ansprüchen gegenüber zu stehen – wirkt das Ganze eher wie eine Farce.

Wenn Obama beispielsweise angibt, er weise den amerikanischen Justizminister Eric Holden an, nach Wegen zu suchen, um gewisse Garantien zum Schutz der Privatsphäre von Nicht-US-Bürgern zu geben, wird klar: Das US-amerikanische Verständnis von Privatsphäre – einem maßgeblichen Grundrecht und Eckpfeiler einer liberalen Gesellschaftsordnung – bietet viel Raum zur Interpretation.

Denn auch zukünftig soll die NSA Telefondaten von Amerikanern massenhaft sammeln und analysieren dürfen – unklar ist nur, wo diese sogenannten Meta- Daten, d. h. Telefonnummer, Dauer der Gespräche und Gesprächsdatum, dann verbleiben. Im Gespräch sind die Server privater Unternehmen, was wiederum eine Aufweichung des Schutzes der Privatsphäre bedeuten würde. Denn wer hat nochmal die größten Server-Kapazitäten in den USA? Ach ja: Zuckerberg, Google und Co.. Ein Schelm, der böses dabei denkt.

Immerhin müssen NSA-Mitarbeiter offiziell künftig für jede Abfrage von Telefondaten einen richterlichen Beschluss erwirken – was in realitas wohl kaum umsetzbar ist. Ferner sollen die Richter an den FISA-Behörden (FISA = Foreign Intelligence Surveillance Act, also ein Gesetz zum Abhören in der Auslandsaufklärung) auch noch einen Bürgeranwalt anhören müssen, bevor das große Spionieren beginnt.

Ergo: Obama versucht mit seiner Rede die transatlantischen Beziehungen in ruhiges Fahrwasser zu steuern und gleichzeitig das US-amerikanische Selbstbewusstsein zu betonen. Doch sein Spagat wirkt nicht nur halbherzig diplomatisch, sondern kratzt, wenn überhaupt, nur an der Oberfläche einer längst internalisierten Sichtweise, die das Recht eines Staates klar vor das des einzelnen Individuums stellt. So gab der britische „Guardian“ erst am Donnerstagabend bekannt, dass die NSA rund 200 Millionen SMS-Nachrichten pro Tag abgreifen könne und dass das Programm namens „Dishfire“ so ziemlich alles sammele, was nicht niet- und nagelfest sei – etwa Informationen über Reisen, Adressbücher, Finanztransaktionen und Roaming-Benachrichtigungen.

Doch wie wurden die Weichen für solche Daten-Entgleisungen gestellt? Obama hatte bereits 2006 der Verlängerung des Patriot Acts trotz anfänglichem Zögern zugestimmt – einem Gesetz, das unter anderem die Einzelverbindungen eines jeden Telefonkunden als relevante Geschäftsunterlagen zur Terrorbekämpfung sieht und dessen Neuauslegung von George W. Bush vorangetrieben worden war. Auch als Präsidentschaftskandidat votete der Mann aus Illinois für die Novellierung des Gesetzes zur Regelung von Auslandsspionage, wohl ohne deren Ausmaß wirklich abschätzen zu können. So verlief schon damals ein Großteil der ausländischen Internet-Kommunikation über amerikanischen Boden und erst das Update des Gesetzes erlaubte den Geheimdiensten in großem Maße Daten zu sammeln – auch ohne sich für jede einzelne Zielperson eine Genehmigung des FISA-Gerichts einholen zu müssen.

Aber wollen wir nicht abschweifen. Obamas Rede zeigt immerhin, dass den USA die Entrüstung befreundeter Staaten nicht völlig egal ist. Ernstzunehmende Veränderungen sind jedoch nicht zu erwarten und abgesehen davon: Selbst wenn Obama tiefgreifende Reformen wollte – auch diese müssen zunächst einmal die Zustimmung des Kongresses finden. Sicherlich ist der präsidiale Kurs und das unstillbare Bedürfnis nach Sicherheit der amerikanischen Behörden Ergebnis der Ereignisse des 11. September und dem daraus resultierenden politischen Trauma.

Das von der Bundesregierung erwägte No-Spy-Abkommen wirkt da mehr als illusorisch – zuweilen gar naiv – und verkennt das Selbstverständnis der US-amerikanischen Sicherheitsdienste. Wer so ziellos Daten sammelt und analysiert – der gibt das nicht einfach so auf. Und derjenige unter Ihnen, der bis dato noch daran gezweifelt haben mag, ob er im Fokus der US-Behörden stehe, der kann sich spätestens seit der Bestätigung seines Google- oder Facebook-Kontos von seinen Zweifeln verabschieden. Denn während allerorten von Telefon- und GPS-Daten-Kollekten die Rede ist, werden die bisweilen ergiebigsten Quellen zur Realisierung des gläsernen Menschen nicht außen vor gelassen: Die beiden Dienste der amerikanischen Internet-Riesen, über die nicht nur quantitative Daten, sondern auch qualitative Aussagen zur Lebenswelt von mehr als 1 Milliarde Menschen generiert werden – und das auch noch freiwillig. Ganz nach dem Motto: Big brother is watching you – and you give him, what he needs.

Die delikate Debatte um mehr Privatsphäre und den staatlichen Überwachungswahn macht deutlich, wie wichtig eine neutrale und unabhängige Aufsicht der Geheimdienste wäre. Denn deren eigentlich sinnvoller Auftrag liegt im Schutz der Menschen vor real existierender, terroristischer Gefahr und nicht im wahllosen Global-Voyeurismus unbescholtener Bürger: Vertrauen ist gut und Kontrolle macht’s manchmal auch schlechter.

Autor: Andreas Altmeyer

Autor, Friedensaktivist

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