Die alten, schweren Türen öffnen sich und geben den Blick frei in ein Treppenhaus, das schon viele Menschen hat kommen und gehen sehen. An den Wänden prangern Graffiti-Schriftzüge, lautstark protestierend gegen System und das Establishment, Flyer überall. Es mutet schon ein wenig seltsam an, dass sich in dieser Hinterhof-Atmo, ein Kinosaal verbergen soll. Und noch viel seltsamer ist es wohl, sich gerade hier, in einer linken Entclave, Frédéric Tchengs neuestes filmisches Meisterwerk „Dior and I“ anzuschauen und einen Blick auf und vielleicht auch hinter die oberflächliche Maske der Haute Couture, diesen schillernden Salon der Eitelkeiten, zu werfen.
Ich erwartete von „Dior and I“ eine Art cineastisches Denkmal für den großen Meister und Wegbereiter der Haute Couture, für Dior eben. Doch der tritt nur zu Beginn des Films in Rückblenden und alten Ausschnitten als personifiziertes Über-Ich in Erscheinung. Nein, in diesem Film geht es nicht nur um die Vergangenheit eines der wohl legendärsten Modehäuser der Welt. Es geht nicht nur um die Huldigung einer Legende, um die Glorifizierung eines Mythos. Vielmehr entfaltet sich seine Dynamik im sensiblen Porträt von Raf Simons, der seine erste Haute Couture-Kollektion für Dior kreieren muss – in nur acht Wochen und für den die Aufgabe Herausforderung und schwere Bürde zugleich ist. Raf Simons zählt zu den renommiertesten Modeschöpfern unserer Zeit, hat sein eigenes Label, war Kreativdirektor bei Jil Sander, trat im Jahr 2012 die Nachfolge von John Galliano im Hause Dior an und betrat damit den Weg ins Allerheiligste der Modebranche: in ein magisches Reich, in dem nur edelste Stoffe und feineste Materialien verwedet und in unzähligen Arbeitsstunden zu Ikonen der Catwalks verwandelt werden. In diesen heiligen Hallen sind die Worte Konfektion und Prêt-à-porter verpöhnt.
Raff Simons @work
Nun ist es der Schaffensort von Raf Simons. Seine Augen haben etwas Gütiges, aber man spürt sie in ihm, die Nervosität, die Fäden in der Hand und die Verantwortung für eine der größten, schönsten und schillerndsten Modeschauen der Saison auf seinen Schultern zu tragen. Tcheng blickt hinter die Kulissen des Modezirkus, ohne zu kommentieren, ohne einzuschrenken. Der US-amerikanische Regisseur hatte mit seinem Film „Valentino – The last Emporer“ im Jahr 2008 bereits einen ersten Berührungspunkt mit der Modewelt.
Und das Auge der Kamera führt uns auch dieses Mal mitten ins Epizentrum des Schaffensprozesses und zeigt, wie aus einer Idee Mode wird. Wir sehen die tausenden Hände, die schneidern, nähen und Pailleten auf Träume aus Samt platzieren . Die Hände sind der Saum der Kollektion, arbeiten Tag und Nacht, während Monsieur le Creative-Directeur sich Diors Strandhaus aus dem Heli ansieht. Ich sage das jedoch ohne Sarkasmus. Denn, auch wenn ein Haus wie Dior seinen Chefdesigner huldigt und ihn verwöhnt, geschieht das nur aufgrund einer Hoffnung: Dass sich alle Kosten in einer einzigen Schau amortisieren und das teure Investment zu einem Goldesel machen mögen.
Simons spielt virtuos auf der Klaviatur der Kreativität und wir dürfen ihm dabei zusehen. Er ist scheu, dominant, wegweisend, inspirierend und, ja, vielleicht auch dekadent. Aber er ist vor allem leidenschaftlich. So hat „Dior and I“ etwas durch und durch Cleanes, etwas Kantenloses wie Simons Hang zum Minimalismus. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die elektronischen Klangfarben des Soundtracks. Wenn Simons auf dem Dach eines Pariser Herrenhauses sitzt, flankiert von einem Butler und zu schüchtern, um sich der Presse zu stellen, so kauft man ihm das zweifelsohne ab.
Der Höhepunkt des Films ist die Schau, zu der natürlich wieder mal alles rechtzeitig fertig wird, gerade so. Diese Harmonie der Schnitte, Farben und Formen wird umrahmt von einem traumhaften Meer duftender Blumen. Es ist fast ein wenig wie im Märchen und blickt man man in Simons Augen, so sieht man ihn weinen, vor Freude, während sich unten im Saal die versammelt haben, die das kostspielige Vergnügen finanzieren sollen. Das Who ist Who der echten High Society ist da. Auch Anna Wintertour von der Vogue, bien sûr. Sie versteckt ihren kritischen Blick hinter einer schwarzen Sonnenbrille – wie immer zu einem solchen Anlass. Und die Kleider? Die sind fantastisch, schön und für Normalsterbliche einfach unbezahlbar. Aber wer wird an einem solchen Tag denn ans Geld denken, außer der Vorstandsvorsitzende von Dior, Monseieur Sidney Toledano, vielleicht? Fazit: ein Must-see für alle Vogue-Leser/Innen.