Für Toleranz – aber echt jetzt!

In einer scheinbar offenen bunten Online-Welt herrschen Toleranz und Respekt vor. Oder ist das alles nur Show?

Ein Kommentar von Andreas Altmeyer

In unserer schnelllebigen Zeit ist es leicht, ein Zeichen zu setzen. Wo früher beispielsweise der Kleidungsstil herhalten musste und man sich mittels Klamotten-technischen Dos and Don’ts partikulären gesellschaftlichen Gruppen zuordnete, oder eben von ihnen abgrenzte, ja wo ein spezieller Lifestyle einen  spezifischen Blick auf die Welt bedeutete, dort dominiert heutzutage die Beliebigkeit des Zeitgeistes. Nun ist Zeitgeist ja auch der Name dieses, meines Blogs und es tut mir in der Seele weh, den Begriff als solches negativ zu konnotieren. Aber was sein muss, muss sein. Denn ist nicht an die Stelle von ernstgemeinten Zeichen, von tragfähigen Symbolen, die etwa eine innere Überzeugung zum Ausdruck- und früher, auf den Straßen Berlins, sogar zum Wut-Ausbruch brachten, längst ein pseudo-symbolisches Vakuum getreten, in dem sich gerade jene tummeln, die ihre Meinung gegenüber gewissen gesellschaftlichen Phänomen wechseln wie die Borussia den Trainer?

Und wo wir schon beim Thema Fußball sind – kommen wir doch mal zur LGBT-Debatte – kurz: Regenbogenfarben – ja oder nein. Ich will es hier ganz deutlich zum Ausdruck bringen: Ich bin ganz klar für die Gleichberechtigung von gesellschaftlichen Randgruppen – vorausgesetzt, diese handeln im Rahmen des Gesetzes. Denn eine Randgruppe ist nicht gleich benachteiligt, nur weil sie eine Randgruppe ist. In diesem Sinne finde ich es auch gut, das Thema LGBT in einem breiten öffentlichen Raum zu platzieren – und es zu diskutieren. Dafür ein dickes „Ja!“. Ich bin aber ebenso für wirtschaftliche Gerechtigkeit, für Frieden auf Erden und für Abrüstung. Nun stellen sich die Fragen: Warum wird das zweite von mir angeführte Themenpaket nicht ebenso prominent diskutiert wie die Bestrahlung des Münchener Stadions – und zwar ganzjährig? Dazu später. Und die zweite Frage: Verliert ein Symbol seine Symbol- und Strahlkraft, wenn zu dessen Verwendung nichts weiter dazugehört als ein Mausklick. Ein Mausklick, der beweisen soll, wie offen man ist, wie tolerant und wie cool – zumindest nach außen hin. Ich denke, ja.

Die Kernfrage könnte so lauten: Wer der vielen Facebook-Profilbild-Changer hätte, sagen wir in den 1960er Jahren, einem schwulen Pärchen wirklich geholfen, wenn es im Central Park oder in München oder sonst wo durch Pöbler oder Schläger in Bedrängnis gebracht worden wäre? Sicher, es mag solche couragierten Menschen geben – und gegeben haben. Aber die Mehrheit der farbenfrohen Facebook-Sympathisanten hätte wohl weggeschaut und sich aus dem Staub gemacht – früher genauso wie heute.

Was ich damit meine, ist, dass anstelle einer gelebten Überzeugung, für die man notfalls auch auf die Straße geht, Zivilcourage zeigt und gar Leib und Leben riskiert, eine Form von Happening-Kultur getreten ist, die „Offenheit“ und „Toleranz“  für ihre eigenen egomanischen Ziele missbraucht. Denn nur weil ich die Regenbogen-Flagge poste, heißt es nicht, dass ich toleranter bin als jemand anderes. Es heißt zunächst nur, dass ich es verstanden habe, was es braucht, um sich tolerant und offen zu geben. Das sind zwei Paar Schuhe.

Wie ich schon sagte: Ein Profilbild ist schnell getauscht, und die damit verbundene Message schnell vergessen – heute sagt man da „Pray for Paris“, morgen ist man gedanklich aber längst woanders. Sicherlich bemängele ich hier eine gewisse Form der diskursiven Oberflächlichkeit und die mit ihr verbundenen Scheindebatten, in denen lieber über Gender-Sternchen Placebo-Diskussionen geführt werden, ohne das gesellschaftliche Ganze im Blick zu behalten, respektive: Um das gesellschaftliche Ganze bewusst auszublenden. Und nochmal: Damit meine ich keinswegs, dass Diskussionen über die Interessen von Partikulärgruppen unnötig sind, sondern nur, dass diese nicht zum Selbstzweck oder gar als Ablenkungsmanöver, gar als Scheindebatte geführt werden dürfen.

Wenn sich da beispielsweise eine Linkspartei in innerparteilichen Diskussionen über das Gender-Sternchen verheddert, anstatt ihren urgeigenen Leitlinien zu folgen und sogar mit der NATO kuschelt, dann geht hier ein wichtiger politischer Gegegnpol verloren. Das machen sich wiederum jene zu Nutze, die von den Scheindebatten profitieren.

Warum werden Themen wie die wirtschaftliche Ungerechtigkeit und so fort nicht genauso diskutiert bzw. wieso erhalten sie nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie der Regenbogen? Vielleicht weil diese Themkomplexe komplex und sperrig sind. Wohl aber auch, weil jene Debatten, wie wir sie über das Münchener Stadion und dessen Farbgebung geführt haben, von anderen Themen ablenken sollen. Da wird die UEFA schnell zum Sündenbock wegen dem Beharren am Konservativen, anstatt ihre Strukturen beispielsweise wegen der zahlreichen Korruptionsverdachts-Fälle in Frage zu stellen. An der Oberfläche kratzen, und im Inneren nichts ändern, das scheint das Motto zu sein.

Dieses doppelte Spiel, das sich Konzerne und Institutionen zu Nutze machen, sollte einem spätestens dann klar werden, wenn Großkonzerne wie BMW und REWE ihre Kunden mit Regenbogenflaggen und Regenbogenlogos beeindrucken wollen. Diese Unternehmen haben, um ganz im Marketing-Jargon zu sprechen, verstanden, auf welchen Content es in der Außendarstellung just in time ankommt. Doch ich muss jene enttäuschen, die glauben, bei diesen scheinbar ach so offenen, die Vielfalt liebenden und total toleranten Konzernen würde am Ende des Regenbogens ein Topf mit Gold auf Mitarbeiter warten.

Man tut zwar bunt, aber wenn’s ums Geld geht, sieht man schwarz. Und um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Ich bewundere alle Kämpfer, die offen ihr Wort erhoben haben und noch immer erheben für die Freiheit – für welche sie auch immer kämpften. Aber zu glauben, es sei ein echtes Statement, ein Stadion zu beleuchten, oder auf Facebook einen Regenbogen zu kommunizieren – das ist einfach nur Banane.

Wie weit es um unsere gesellschaftliche Toleranz wirklich bestellt ist, können Sie schnell sehen. Meist nicht auf Facebook, sondern wenn Sie wieder mal kein Mensch auf die Vorfahrtstraße fahren lässt, wenn wieder mal keiner im Bus für die alte Dame aufsteht und wenn es darum geht, den Wohlstand der einen nicht auf dem Elend der anderen zu gründen. Doch bei vielen Menschen hört die Toleranz schon viel früher auf – beim Debattieren über Impfungen zum Beispiel, beim Deklassieren von Mitmenschen, die ihre Stimme gegen die Politik der Bundesregierung erheben und – man glaubt es kaum – beim Run aufs letzte Päckchen Toilettenpapier im Supermarkt.

Toleranz zeigt sich eben nicht allein im Switchen des Profilbildes, sondern sie entsteht im Kopf, und zeigt sich im Handeln. Echte Toleranz erfordert auch den Mut, sich nicht nur in thematisch ruhige Gewässer zu wagen, sondern auch in stürmische Gefilde, ganz nach Voltaire: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Dieser Prozess kann auch mit einem gewissen Zähneknirschen einhergehen, gerade dann, wenn die Mainstream-Armee mal wieder in eine andere Richtung marschiert.

Es gibt noch die Mutigen. Ich erinnere an Ken Jebsen und Sucharit Bhakdi, ich erinnere aber auch an die systematische Stigmatisierung der meist friedlichen Grundgesetz-Fans der jüngsten Vergangenheit, die überwiegend nicht die Existenz von Corona in Frage stellten, sondern den Maßnahmen-Katalog der Bundesregierung. Dafür kassierten sie Häme, Spott und wurden nicht selten mundtot gemacht. Sie machten dennoch weiter.

Und das hat mit einem weiteren Element zu tun: der Empörung, die es dafür braucht. Der Philosoph Stéphane Hessel hat das so formuliert:

Ich wünsche allen, jedem Einzelnen von euch, einen Grund zur Empörung. das ist kostbar. Wenn man sich über etwas empört, wie mich der Naziwahn empört hat, wird man aktiv, stark und engagiert. Man verbindet sich mit dem Strom der Geschichte, und der großee Strom der Geschichte nimmt seinen Lauf dank dem Engagement der Vielen – zu mehr Gerechtigkeit und Freiheit, wenn auch nicht zur schrankenlosen Freiheit des Fuchses im Hühnerstall.

Doch wo nur der Showeffekt zählt, das plakative „Zur-Schau-Stellen“, dort fehlt diese echte Empörung oder wird verwässert. Was bleibt also zu tun? Was wäre ein Anfang?

Bevor man sich, nur damit es jeder sieht, ein neues Profilbild mit Statement zulegt, sollte man vielleicht mal ein kleines Zeichen setzen. Verzicht üben und bei sich selber anfangen. Nicht auf Facebook – sondern ganz altmodisch offline, ohne großen Show-Effekt. Das wäre mal was.

Autor: Andreas Altmeyer

Autor, Friedensaktivist

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