Die Geister, die der Westen rief

Das sich im Irak entwickelnde Wahlbündnis zwischen der martialisch daherkommenden Bewegung Muqtada As-Sadrs‘ und den mit ihm kooperierenden säkularen Kräften verheißt für den Westen nichts Gutes – war aber durchaus ein zu erwartendes Phänomen. Denn noch immer gleicht das Land nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 einer Outlaw-Area, in der der Alltag für den Großteil der Bevölkerung kaum zu ertragen ist. Daran hat auch die pro westliche Politik des Anti-IS-Helden Haider al-Abadi bisweilen wenig bis gar nichts geändert.

Immer noch spürt man die Nachwehen des US-amerikanischen Embargos bei der gleichzeitigen Allgegenwart der GIs, ganz nach dem Motto „Big brother is still watching you.“ Die Bevölkerung sehnt sich, auch das ist verständlich, nach einer sicheren Größe, die Schutz gibt und vielleicht der schiitischen Mehrheit des Landes zu ihrem alten Glanz verhilft. As-Sadr, Sohn des im Jahr 1999 ermordeten Ajatollah Muhammad Sadiq as-Sadr, vermag dies mit seinen rund 60.000 Milizionären zu tun. Parallel dazu kann Sadr auf ein von seinem Vater vererbtes Hilfsnetzwerk aus wohltätigen Organisationen vertrauen, das ihn besonders bei der bettelarmen Bevölkerungsschicht beliebt machte.

Was ist also von dem Mann, der einst mit seiner Mahdi-Armee gegen den IS und die Amerikaner kämpfte und den schiitischen Hardliner markierte, zu erwarten? Nun: Da Sadr nicht selbst bei der Wahl zum Regierungschef angetreten ist, wird er im Falle eines Wahlsieges im Hintergrund als Strippenzieher agieren. Doch dafür braucht er Mehrheiten. Und das wird für ihn mit gerade mal 50 der 329 Mandate schwer genug.

Noch schwerer macht das die Tatsache, dass Sadr mittlerweile den zunehmenden Einfluss des Irans im Irak ablehnt. Zumindest noch. Denn langfristig wird er sich mit dem Gottesstaat verbünden müssen, wenn er seine Macht festigen will. Einerseits, ob des enormen militärischen Potentials der Iraner, andererseits weil er im Parlament Mehrheiten benötigt und deswegen auf Koalitionspartner angewiesen ist. Doch dies wird mit dem vom Iran systematisch aufgebauten Hadi al-Amiri nicht leicht, vorausgesetzt Sadr geht weiter auf Konfrontationskurs mit ihm.

Sollten jedoch diese „Anlaufschwierigkeiten“ beseitigt werden, könnte sich der Westen schon bald einem neuen Desaster gegenübergestellt sehen. Gestützt vom Iran, könnte der erste echte demokratische Präsident des Irak (wie er auch heißen mag), seine Macht dazu einsetzen, gegen die noch überall stationierten amerikanischen Soldaten im Land vorzugehen. Wahrscheinlich ist parallel dazu auch ein erneuter von Drittmächten angeheizter Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Wenn auch die Details noch unscharf sind, sicher ist: Sowohl der Iran als auch Saudi Arabien und das aufstrebende Katar werden den Irak zur Erweiterung ihrer Machtsphären nutzen.

Und das ist kein Wunder, sondern die kausale Folge einer Politik des westlichen Versagens. Statt einer validen Aufbaupolitik seitens westlicher Staaten, ließ man das einst von Frankreich und England auf dem Tableau der Geopolitik geschaffene Land Irak sprichwörtlich am ausgestreckten Arm verhungern, indem man weder einen Plan B nach dem Sturz von Saddam hatte, noch eine Ahnung von den gesellschaftlichen Gegebenheiten vor Ort.

Dieser Unkenntnis in Verbindung mit den umfassenden US-amerikanischen Sanktionen ist es zu verdanken, dass der IS erst entstehen konnte. Diese Terrororganisation, die ehemalige Funktionäre von Saddams Baath-Partei zum Leben erweckten, ist sozusagen die unmittelbare Folge der naiven US-amerikanischen Intervention zugunsten der schiitischen Mehrheit des Landes.

Naiv obendrein war der Glaube der Amerikaner, diesem so vielseitigen, umkämpften, aber auch an Kultur reichen Land eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufbürden zu können bzw. zu dürfen. „Mit welchem Recht?“, fragt man sich da. Muqtada As-Sadrs wird diese Steilvorlage nutzen um die Gewaltausbrüche derer für seine Zwecke zu instrumentalisieren, die durch uns völlig perspektivlos geworden sind.

Dabei bleibt nur zu hoffen, dass der Irak nicht zur Neuauflage Syriens wird.