Geo-Schach mit qualmenden Colts

Die USA schicken sich an, zügig einen Iran-Feldzug vorzubereiten und setzen damit ihren imperialistischen Kurs ungehemmt fort. Europa schweigt. Mal wieder.

von Andreas Altmeyer

Wer die Pressekonferenz mit Sergei Lawrow und Mike Pompeo, der eine Polit-Urgestein aus Sowjet-Zeiten, der andere einst abgebrühter CIA-Boss, mit angesehen hatte, der konnte feststellen: Der freundschaftliche Ton ist längst scharfer Rhetorik gewichen und das diplomatische Parkett zwischen beiden Großmächten zu einer spiegelglatten Eisfläche geworden. Dafür spricht nicht nur die erstarrte Miene Lawrows, der den harschen Attacken Pompeos mit sachlicher Gelassenheit konterte.

Nichts weniger als die große Weltpolitik hatte man sich in Sotschi, malerisch gelegen am Schwarzen Meer, auf die Fahnen geschrieben und die wurde dann auch abgehandelt. Pompeo zeigte einmal mehr, für was er und die gesamte US-Administration stehen: für einen hemmungslosen neo-imperialistischen Kurs Richtung Krieg, Neo-Kolonialismus, Lügen und Tod. Öffentlich ist seitens der USA da die Rede von der illegitimen Absetzung Nicolás Maduros, die man fördern und im wahrsten Sinne des Wortes „befeuern“ wolle. Demokratie à la US-Armee oder vielmehr: CIA eben. Das derlei manipulatives Strippenziehen weder im Irak noch in Libyen oder irgendwo sonst jemals funktioniert hat, das verschweigt der gewiefte Mike. Nur Lawrow verschweigt es nicht – und er hat recht damit.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die USA in Sachen Propaganda längst das subtile Taktieren um die geo-strategische Vormachtstellung aufgegeben haben, zugunsten einer plumpen Imperial-Politik, die weder verschweigt, was sie will, noch rechtfertigt, was sie tut. Jüngstes Beispiel: Iran. Lange schon sind die Mullahs den USA ein Dorn im Auge. Nun wollen sie handeln.

Zunächst schob man es auf die potentiell vorhandene Atombombe. Doch reicht das als Rechtfertigung für eine Invasion respektive einen Krieg? Wohl kaum. Denn Pakistan hat die A-Bombe auch, Israel ebenso. Daran stört sich jedoch keiner. Abgesehen davon: Auch wenn man kein Freund von Waffen ist, mag man den Iran ein wenig verstehen. Und verstehen, das bitte ich zu beachten, hat in diesem Falle nichts mit Verständnis zu tun. Denn kein anderes Land wird so von US-Basen „umzingelt“ und so sehr belauert wie die Heimat der Schiiten. Natürlich machen diese auch Propaganda – man denke nur an die Erbfeindschaft mit Israel, die in harschen Reden immer wieder entflammt, oder die unglückliche Rolle Mahmud Ahmadineschāds, der sich dem Westen nur allzu oft als Projektionsfläche für seine Ängste anbot.

Doch wenn man die Diplomatie des Gottesstaates analysiert, so wirkt sie seit Jahren gemäßigt und keinesfalls bedrohlich. Das hat Hassan Rohani mehrmals gesagt und bewiesen. Denn soweit es mir bekannt ist, wollte der Iran bis dato mit keinem anderen Land Krieg führen.

Richtig ist auch, dass dieser „freundlich“ gesinnte Kurs auf die Sanktionen zurückzuführen ist, unter denen das Land noch immer leidet. Auch richtig ist obendrein, dass den Vor-Ort-Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde nicht zu allen Atom-Anlagen Zugang gewährt wird. Doch halten wir eines fest: Die USA sind zuerst aus dem Atomabkommen ausgestiegen, nicht der Iran. Das 159-seitige Vertragswerk ist ohnehin nicht der letzte Schluss der Weisheit.

Allerdings gäbe auch seine Nicht-Beachtung seitens des Iran den USA nicht mittelbar oder unmittelbar das Recht, eine solche Drohgebärde aufzubauen, wie sie das gegenwärtig tun. Denn 120.000 Soldaten, eine Fliegerstaffel und ein Flottenverband mit Flugzeugträger wurden in den Persischen Golf entsandt. Das ist kein Pappenstiel. Dabei gleichen sich die Muster der US-imperialistischen Außenpolitik. Denn was damals, im Irak 2003, schon Leid und Tod brachte, das scheint sich nun an anderer Stelle zu wiederholen. Obgleich die wahren Motive der geplanten US-Intervention nicht direkt genannt werden, bleiben sie alles andere als verborgen. Es geht, mal wieder, um die eigenen Interessen, um Erdöl, Pipelines, um die Erstarkung von Bündnispartnern (Saudi-Arabien, Israel) und die Unterdrückung von Minderheiten und zwar mit einem Ziel: die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Der von mir äußerst geschätzte Willi Wimmer, ehemaliger verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU, beschreibt die Verflechtung von machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen sehr deutlich, von denen auch die Bunderegierung profitiert.

Vergleichen wir den völkerrechtswidrigen Krieg der USA 2003 mit dem geplanten (ebenso völkerrechtswidrigen) Feldzug gegen den Iran, so scheinen die USA eines gerne zu verdrängen: Der Iran ist nicht nur bedeutend heterogener als der Irak, sondern auch deutlich größer. Noch dazu leben hier doppelt so viele Menschen. Und nein: Wenn wir vom Iran sprechen, sprechen wir heute nicht von einer Diktatur. Die Menschen leben (en gros) gut hier, können mitbestimmen und die Dinge mitbewegen. Doch von außen mitbewegen wollen schließlich auch die USA. Das wollten sie in diesem an Kultur so reichen Land schon immer. Nicht zuletzt durch die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammad Mossadegh im Jahre 1953 (Operation Ajax) oder durch die Installationen des Marionetten-Schahs Rehza Pahlavi. Just saying: Erst die Manipulationen der CIA, die allesamt nachweislich belegt sind, führten dazu, dass religiöse Hardliner wie Ajatollah Chomeini die Revolution erfolgreich durchführen konnten. Doch der US-Versuch, die Mullahs allesamt als durchgeknallte Gotteskrieger zu diskreditieren, muss scheitern – denn die Mehrheit von ihnen ist es mitnichten.

Kurz: Es gibt keinen echten Kriegsgrund. Diesen gab es für die USA so gut wie nie. Doch als Meister des „James Bond“-mäßigen Story-Tellings strickten sie früher zumindest noch die abstrusesten Geschichten – angefangen bei der Brutkastenlüge im Irak bis hin zum Giftgas in Syrien. Hat eigentlich mal jemand was von Sergej Skripal gehört?

Mittlerweile, so hat man unweigerlich den Eindruck, brauchen die USA derlei perfide Fake-Storys nicht mehr. Sicher: Immer mal wieder vergleichen die USA den Iran mit Nazi-Deutschland, auch Verbindungen zu Al Qaida werden ihm nachgesagt und mit ballistischen Raketen würde der Iran gegen die Sicherheitsrats-Resolution 2221 verstoßen. Doch den einen großen Kriegsgrund, den gibt es eben nicht! Er ist, wie weiter oben beschrieben, gar nicht mehr nötig!

Denn die USA haben verstanden, dass die internationale Staatengemeinschaft auch ohne ihn schweigt. Auch Deutschland gibt hier außenpolitisch ein mehr als trauriges Bild ab. Marionetten-Maas und seine Schergen zeigen keinerlei Haltung und nehmen die US-Drohgebärden als gottgegeben hin, statt sich klar von ihnen zu distanzieren.

Obgleich sich erneut ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg abzeichnet, der die gesamte Region ins Verderben stürzen könnte, herrscht international scheinbares Desinteresse.

Dabei würde ein Krieg mit dem Iran massiv zur Destabilisierung der Region und der gesamten Welt führen – allein wegen der geografischen Lage des Landes, das an den Irak, die Türkei, Saudi Arabien, den Oman, Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Kasachstan grenzt. Griffe die USA den Iran an, so würden sich die Saudis ihnen unweigerlich anschließen, als Chance, ihr sunnitisches Machtspektrum zu erweitern, auch Israel wäre sofort mit von der Partie – und damit eine weitere Atommacht. Um die Ausdehnung der Nato zu verhindern, könnte Russland intervenieren, obendrein könnte der Iran die Russen als Schutzmacht anfordern, ähnlich wie Assad dies in Syrien getan hat. Und dann ist da noch die Straße von Hormus, eine der wichtigsten Transport-Öladern der Welt. Der Iran wäre in der Lage, sie mit einem Schlag zu blockieren.

Wer die Szenarien durchspielt erkennt, wie wichtig eine Friedensbotschaft, ein einheitliches Statement der Europäer Not tut. Zu lange haben sie – und Deutschland ganz explizit – bei dem Versuch der USA zugesehen, ihre Interessen in menschenverachtender Wildwest-Manier durchzusetzen! Auch im eigenen Land: Von deutschem Boden können die USA aus Ramstein unbehelligt ihre Kriegsvorbereitungen koordinieren und noch dazu Drohnenangriffe führen. Im Fliegerhorst Büchel lagern US-Atomwaffen. Und die Bundesregierung schaut zu. Immerhin sind Urteile wie jenes des OVGs Münster Schritte in die richtige Richtung. Dieses hatte die Bundesregierung im März dazu angehalten, bei den USA auf die Einhaltung des Völkerrechts hinzuwirken, nachdem Kläger aus dem Jemen aussagten, sie hätten durch Drohnenangriffe Angehörige verloren. Schade, dass es erst derlei Urteile braucht, um die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen. Die Brandt’sche Maxime: „Nie mehr Krieg von Deutschem Boden“ scheint jedenfalls für sie nicht mehr zu gelten.

Zugegeben: Ein Protest von der Straße wird kaum ausreichen, um diesen fast schon „hörig devoten“ Obrigkeitsglauben gegenüber den Amerikanern aufzugeben. Aber es ist ein Anfang. Denn jeder Dollar, der nicht in Rüstung und Krieg investiert wird, ist ein Dollar für den Frieden.

Vom 23. bis zum 29. Juni findet in Ramstein übrigens die Aktionswoche „Stopp Air Base Ramstein“ statt. Kommt vorbei und zeigt Flagge!

Die Geister, die der Westen rief

Das sich im Irak entwickelnde Wahlbündnis zwischen der martialisch daherkommenden Bewegung Muqtada As-Sadrs‘ und den mit ihm kooperierenden säkularen Kräften verheißt für den Westen nichts Gutes – war aber durchaus ein zu erwartendes Phänomen. Denn noch immer gleicht das Land nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 einer Outlaw-Area, in der der Alltag für den Großteil der Bevölkerung kaum zu ertragen ist. Daran hat auch die pro westliche Politik des Anti-IS-Helden Haider al-Abadi bisweilen wenig bis gar nichts geändert.

Immer noch spürt man die Nachwehen des US-amerikanischen Embargos bei der gleichzeitigen Allgegenwart der GIs, ganz nach dem Motto „Big brother is still watching you.“ Die Bevölkerung sehnt sich, auch das ist verständlich, nach einer sicheren Größe, die Schutz gibt und vielleicht der schiitischen Mehrheit des Landes zu ihrem alten Glanz verhilft. As-Sadr, Sohn des im Jahr 1999 ermordeten Ajatollah Muhammad Sadiq as-Sadr, vermag dies mit seinen rund 60.000 Milizionären zu tun. Parallel dazu kann Sadr auf ein von seinem Vater vererbtes Hilfsnetzwerk aus wohltätigen Organisationen vertrauen, das ihn besonders bei der bettelarmen Bevölkerungsschicht beliebt machte.

Was ist also von dem Mann, der einst mit seiner Mahdi-Armee gegen den IS und die Amerikaner kämpfte und den schiitischen Hardliner markierte, zu erwarten? Nun: Da Sadr nicht selbst bei der Wahl zum Regierungschef angetreten ist, wird er im Falle eines Wahlsieges im Hintergrund als Strippenzieher agieren. Doch dafür braucht er Mehrheiten. Und das wird für ihn mit gerade mal 50 der 329 Mandate schwer genug.

Noch schwerer macht das die Tatsache, dass Sadr mittlerweile den zunehmenden Einfluss des Irans im Irak ablehnt. Zumindest noch. Denn langfristig wird er sich mit dem Gottesstaat verbünden müssen, wenn er seine Macht festigen will. Einerseits, ob des enormen militärischen Potentials der Iraner, andererseits weil er im Parlament Mehrheiten benötigt und deswegen auf Koalitionspartner angewiesen ist. Doch dies wird mit dem vom Iran systematisch aufgebauten Hadi al-Amiri nicht leicht, vorausgesetzt Sadr geht weiter auf Konfrontationskurs mit ihm.

Sollten jedoch diese „Anlaufschwierigkeiten“ beseitigt werden, könnte sich der Westen schon bald einem neuen Desaster gegenübergestellt sehen. Gestützt vom Iran, könnte der erste echte demokratische Präsident des Irak (wie er auch heißen mag), seine Macht dazu einsetzen, gegen die noch überall stationierten amerikanischen Soldaten im Land vorzugehen. Wahrscheinlich ist parallel dazu auch ein erneuter von Drittmächten angeheizter Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Wenn auch die Details noch unscharf sind, sicher ist: Sowohl der Iran als auch Saudi Arabien und das aufstrebende Katar werden den Irak zur Erweiterung ihrer Machtsphären nutzen.

Und das ist kein Wunder, sondern die kausale Folge einer Politik des westlichen Versagens. Statt einer validen Aufbaupolitik seitens westlicher Staaten, ließ man das einst von Frankreich und England auf dem Tableau der Geopolitik geschaffene Land Irak sprichwörtlich am ausgestreckten Arm verhungern, indem man weder einen Plan B nach dem Sturz von Saddam hatte, noch eine Ahnung von den gesellschaftlichen Gegebenheiten vor Ort.

Dieser Unkenntnis in Verbindung mit den umfassenden US-amerikanischen Sanktionen ist es zu verdanken, dass der IS erst entstehen konnte. Diese Terrororganisation, die ehemalige Funktionäre von Saddams Baath-Partei zum Leben erweckten, ist sozusagen die unmittelbare Folge der naiven US-amerikanischen Intervention zugunsten der schiitischen Mehrheit des Landes.

Naiv obendrein war der Glaube der Amerikaner, diesem so vielseitigen, umkämpften, aber auch an Kultur reichen Land eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufbürden zu können bzw. zu dürfen. „Mit welchem Recht?“, fragt man sich da. Muqtada As-Sadrs wird diese Steilvorlage nutzen um die Gewaltausbrüche derer für seine Zwecke zu instrumentalisieren, die durch uns völlig perspektivlos geworden sind.

Dabei bleibt nur zu hoffen, dass der Irak nicht zur Neuauflage Syriens wird.