„Die Teilacher“ ist das im Jahre 2010 bei dtv erschienene Roman-Debüt von Michel Bergmann. Bergmann wird als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren, zieht später gemeinsam mit ihnen nach Frankfurt am Main und wird schließlich freier Journalist bei der >Frankfurter Rundschau<. Der Roman nimmt den Leser mit auf eine aufregende, erschreckende, aber auch mit jiddischem Humor gefärbte Reise, ins Vor- und Nachkriegsdeutschland. Dabei beginnt das Buch mit dem Tod seines eigentlichen Protagonisten, David Bermann. Als der junge Schauspieler Alfred Kleefeld nach dessen Ableben beginnt, die Dinge seines Nennonkels zu ordnen, schweift er mit seinen Gedanken unweigerlich ab in die Welt dieses kautzigen, klugen Menschen und erfährt schließlich auf Davids Beerdigung, in einem Gespräch mit dessen Weggefährten, dessen spannende Lebensgeschichte.
In Retrospektiven wird der Leser nun in eine ganz und gar jüdischen Mikrokosmos mitten in Deutschland, in die Welt der Teilacher, der jüdischen Handelsreisenden, entführt, die mit ihren Aussteuerpaketen, den sogenannten „pekle“, in den Nachkriegsjahren über die Lande zogen.
Amüsant sind dabei besonders die quasi komischen Begegnungen zwischen den verschmitzten, aber von den barbarischen Qualen der Schoah geprägten Teilachern auf der einen, und den tolpatschigen, plumpen und hilflosen Deutschen auf der anderen Seite. Aus diesem Spannungsfeld heraus entwickelt der Roman seine schwungvolle Eigendynamik. Das Buch ist weit mehr als der oberflächliche Einblick in die Welt eines Berufsstandes, der aus der Not heraus geboren wurde. Der Autor zeichnet gekonnt und in teilweise rührender Sprache die Lebenslinien einiger imaginären Landsleute nach, die durch den aufziehenden Weltkrieg in völlig andere Richtungen gelenkt und nach dem Kriege schließlich zu einem neuen Lebensmuster verwoben werden: Da ist der aufstrebende Wäschehandel der Gebrüder Bermann beispielsweise, durch den David seine große Liebe Baby kennenlernt und der unter dem Nazi-Regime natürlich nicht fortgeführt werden kann. Alfred flieht nach Paris, tritt der Fremdenlegion bei und muss die Frau, die er liebt, in den Wirren des Krieges ziehen lassen. Nach dem Krieg schlägt er sich als Teilacher durch und versucht mit seinen Freunden in Deutschland Fuß zu fassen, das geprägt ist von Trümmern, Zerstörung und der Regression der Deutschen.
In dieser bedrückenden Atmosphäre entwickeln die jüdischen Protagonisten zarten, neuen Lebensmut und versuchen auf ihre eigene, von tief-schwarzem Humor geprägte Weise, aus dem Gegebenen das Beste zu machen.
In den Anekdoten, die Bergmann skizziert, pendelt der Leser so beständig zwischen Melancholie, Verblüffung und Erstaunen – kurz: Der Autor erschafft mit diesem Buch einen Gegenentwurf zur moralisch unmittelbar bewertenden Form der gängigen Nachkriegs-Literatur, indem er die Lebenswelt einiger Juden exemplarisch in erstaunlicher Brillianz schildert – vor und nach dem Krieg. Die zerklüftete Welt aus Leid, Pragmatismus und Liebe ist es, die Bergmann in seinem Erstlingswerk hervorragend einfängt und die uns erschauern, aber auch mal schmunzeln lässt:
„In der Stadt war man in einer wilden, ungezügelten Welt. Zwischen den Trümmern gab es Bars und Bordelle, Kinos, ET-Taxis, Schwarzmarkt am Hauptbahnhof. Ja, so lebten sie in der Welt zwischen Deutschen und Amerikanern. Die Teilacher. (…) Der Teilacher, als Vertreter des Einzelhandels, ist das kleinste spaltbare Teilchen, das Atom der Kaufmannswelt.“*
Dass dem Buch ein Deutsch-Jiddisches Glossar angehängt wurde, lässt den Leser bei den zahlreichen blumigen Gesprächen der Handelnden noch näher heranrücken an die jüdische Seele, die sich in einem von jiddischen Begriffen durchsetzten Deutsch offenbart.
Es ist die ausgewogene Mischung aus Scharm, Chuzpe und Gefühl, die diesen Roman zu einer absoluten Leseempfehlung meinerseits macht.
* Bergmann, Michel, Die Teilacher, dtv (2010), S. 103 – 104.