Marketing meets Social-Hedonism

Influencer sind die neuen Stars am Social-Media-Himmel. Nie waren die bezahlten Lifestyle-Experten gefragter, auch wenn den hippen Hedonisten mit Selfie-Stick eine wesentliche Eigenschaft fehlt, die für soziale Medien zentral ist: Authentizität.

In Zeiten des Streuverlusts und des zunehmenden Machtmonopols der Social-Media-Kartelle war es für die Vermarkter längst an der Zeit, einen neuen, „coolen“ Marketing-Kanal zu erschließen. Doch wie sich in die Lebenswelt der Nutzer hineinmogeln, wie ihre Herzen, und: viel wichtiger, ihre Kaufkraft nutzen? Die Antwort schien so simpel wie naheliegend. Durch die, denen die Nutzer freiwillig auf Instagram und Co. folgen, weil eben die, denen da gefolgt wird, für sie von Interesse sind: die sogenannten Influencer, die „Beeinflusser“, jene also, die Verhalten vermeintlich lenken und damit zum kapitalistischen Viehtreiber werden. Waren das zuvor meist mehr oder weniger bekannte Sternchen und Stars des Showbizz, hat sich mittlerweile längst eine Influencer-Szene etabliert bzw. monetarisiert, die davon lebt, ihre gefilterten Urlaubstraum- und Essens-Aufnahmen zu kommunizieren, meist in Verbindung mit einem Produkt oder einer Location, die der Influencer – wenn er denn „influenct“ und das Produkt oder die Urlaubslocation in seinem Post erwähnt – kostenlos genießen darf.

Nun sagt eine solche Werbestrategie einiges aus – sowohl über den Empfänger als auch über den Sender. Neben dem materiellen Mehrwert, den er aus seiner propagandistischen Tätigkeit zieht, kann und darf dieser durch die neue Marketing-Masche seinen Drang nach Anerkennung, nach dem so ersehnten Feedback der Massen stillen, indem er scheinbar authentische Momentaufnahmen bis ins kleine arrangiert, sein Leben vermarktet und damit selber zum Produkt wird. Wer im DSM, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, nachschaut, würde bei einem nicht ganz unbeträchtlichen Teil dieser „selbstdarstellenden“ Selbstvermarkter jene psychische Störung ausmachen, die unter dem Punkt 301.81 aufgeführt ist: die Narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Ja: Der Narzisst ist für das Influencer-Dasein wie geschaffen, denn bei der Inszenierung seines Lebens mit ihm als egozentrischem Fixpunkt fühlt er sich wie der Fisch im Wasser. „Lob und Likes“ als Nährstoff zum Seelenheil und dazu noch die Aussicht auf kleine Geschenke machen ihn zum willigen und billigen Erfüllungsgehilfen einer perfiden Verkaufsmaschinerie, als deren Teil er sich nur insofern bewusst erlebt, als dass er durch sie den „Fame“ bekommt, den er doch so dringend braucht. Ganz nach dem Motto: „Fühlen wie ein Star“, wird das eigene Instagram-Profil quasi zur digitalen Bühne, auf der er sein Publikum an den gestellten Szenen seines Lebens teilhaben lässt – immer mit dem einen Ziel: der bewussten Zurschaustellung eines Lifestyles wie ihn sich die große weite Welt des Marketings erdacht hat.

Während der Fashion-, Travel- und wie sie sonst noch alle heißen -Blogger sich nichts sehnlicher wünscht, als einzigartig zu sein und sich von „den Anderen“ abzuheben; verkennt er eine Tatsache voll und ganz: dass er mit jedem Posting näher an den genormten Zeitgeist heranrückt, dessen unausgesprochene Message ungefähr so lautet: Gutaussehend. Gesund. Jung. Sportlich. Erfolgreich.

Dieses Ideal ist in der Werbung nicht neu, dennoch wird es durch das sogenannte „Influencer-Marketing“ auf das nächst höhere Level katapultiert und schafft damit nicht – wie man meinen könnte – mehr Nähe zum Follower, sondern größere Distanz und statt Individualität „hedonistische Prototypen“ gutaussehender Karrieristen, die morgens joggen, mittags mit dem Vorstand lunchen, abends Gewichte stemmen und bei alledem noch munter den Selfie-Stick hochhalten, um in die Kamera zu grinsen. Alle Welt soll sehen: Mein Life is‘ ja sowas von nice! Und das, obwohl sich die allermeisten Postings nur um einen drehen: den, der sie gepostet hat und sie mit Oberflächlichkeiten und Plattitüden garniert. Zugegeben: Der Wunsch, sich präsentieren zu wollen, ist nur menschlich. Aber die Zahl der „Müsli essenden Marken-Junkies“, die uns in Echtzeit mitteilen, welches Szene-Restaurants sie besuchen, ist doch in letzter Zeit rasant angestiegen, oder?

Was entsteht, ist eine klebrige Melange aus kommerziellen und privaten Inhalten, die nicht nur für die Kids von heute kaum noch zu durchschauen ist. Wo fängt Werbung an, wo hört sie auf? Was bedeutet es, wenn Menschen, die zur digitalen Lebenswelt gehören,zu Markenbotschaftern werden und in ihren Followern Bedürfnisse wecken, von denen diese vorher nicht mal wussten, dass es sie gibt? Könnte die permanente Bombardierung mit Werbung, die als solche nicht mehr zu erkennen ist, zu einer Reizüberflutung, und schlimmstenfalls zur Egozentrierung in ihrem Wortsinn führen, weg von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens? Das alles sind offene Fragen, um deren Beantwortung sich beispielsweise die Soziologie, insbesondere die Sozialisationsforschung, kümmern muss.

Zugegeben: In einer immer komplexer werdenden Gesellschaft ist die Sehnsucht nach Einfachheit und „Fun“ groß. Was das Geschäftsmodell „Influencer-Marketing“ jedoch erst so richtig erfolgreich macht, ist, die Werber glauben zu machen, dass sie nur durch „Influencer“ up-to-date sind. Doch selbst das Wort „up-to-date“ ist heutzutage schneller obsolet, als man „Hashtag“ sagen kann. Wahr ist stattdessen: Noch immer lässt das „Involvement“, also das Nutzerengagement, bei vielen Unternehmen zu wünschen übrig, auch wenn das die meisten Social-Media-Beratungs-Agenturen ihren Kunden verschweigen.

Genau diese Agenturen treiben immer wieder eine neue „eierlegende Wollmilchsau“ durchs Dorf, sozusagen um das Klientel wachzuhalten. Mal heißt sie „Content-“, mal „Influencer Marketing“, aber eines haben alle Floskeln gemeinsam: Sie sollen deutlich machen, dass es ganz wichtig ist, auf den großen Social-Media-Zug aufzuspringen, koste es, was es wolle. Bezahlte Lifestyle-Sklaven, die mittels ausgeklügelter Do’s and Don’t-Listen kontrollierbar sind, den Anschein von Authentizität wahren und noch dazu viele Fans haben, scheinen da für die Big Player eine gute Alternative zu sein. Und so passiert, was immer passiert, wenn die große Werbebranche einen „Trend“ entdeckt: Alle Bedenken werden über Bord geworfen. Die Unternehmen vergessen, dass diese ach so „hippe“ Werbestrategie meist nicht authentisch ist und die hippen Blogger vergessen, dass sie als Teil des kapitalistischen Systems letztlich jene Authentizität aufgeben, die sie bei ihren Fans so beliebt gemacht hat. So wird der Influencer-Hype vor allem eines: auf lange Zeit nicht die Erwartungen erfüllen, die die unzähligen Marketing-Experten in ihn setzen.

Aber was macht man nicht alles für eine Hand voll Dollar … Und so produzieren sich die Hedonisten dieser Welt weiter vor den Kamera-Objektiven, räkeln sich an Traumstränden und hippen Locations, bis sie eines Tages vielleicht feststellen, dass sie nicht nur Produkte, sondern auch sich selbst verkauft haben.

Generation „Happy!“

Nein, ich will nicht in den verklärenden Sumpf des „Die Jugend von heute“ abtauchen. Auch liegt es mir fern, diese Jugend von heute einer generellen Kritik zu unterziehen. Denn wenn ich mir die Generation zwischen fünfzehn und zwanzig betrachte, so sehe ich größtenteils aufgeklärte Menschen. Nun schwingt wohl schon in diesem Satz ein kleines „aber“ mit. Denn was mir an eben dieser Peer Group, an dieser Generation der Alles-Könner und Alles-Erreicher auffällt, ist ein partieller Verlust von Kritikfähigkeit. Wie schon der Existenzphilosoph Martin Buber feststelle, ist ja alles Leben Begegnung. Und jene jungen Leuten, denen ich begegne, fällt es zunehmend schwer, mit ernstgemeinter, sogenannter konstruktiver Kritik umzugehen. Richtig: Sie stellen Fragen: Warum ist das so und so? Warum verhält sich das nicht anders? Doch die Motivation für diese Fragen speist sich weit weniger aus einer Kritik am Sachverhalt oder an dessen normativen Beschränkungen als aus einer Bewältigungsstrategie für die subjektiv erfahrene Kränkung. Diese zu erfahren und dazu noch mit ihr umzugehen, fällt jungen Menschen zunehmend schwer. Nun sind die Gründe dafür weit komplizierter auszumachen als die Phänomene, die jene nach sich ziehen.

Eine Ursache sehe ich persönlich in der Interaktion zwischen Erzieher und Zögling, in deren Setting versucht wird, das System von Allzeit-Belohnung zu etablieren, und jenes der Sanktionierung zu vermeiden. Dazu kommt ein fehlgeleiteter Diskurs in der Interaktion zwischen Eltern und Kind, in dessen Rahmen alles und jedes ausdiskutiert wird, bei gleichzeitiger immanenter empathischer Anteilnahme seitens der Erziehungsberechtigten. Es scheint, als habe die Generation der heute Mitvierziger all jene Kränkungen, welche ihnen Ihre Eltern angedeihen ließen, in einem weichgespülten Erziehungs-Protektorat kompensiert. Gleichzeitig sind es jene Mitvierziger, die als Kind meist in materiellem Überfluss lebten, keinen Krieg und Hunger oder sonstige existentielle Nöte kannten und somit weitestgehend systemkonform daherkommen. Wer nun aber als Kind den Konformismus der Welt sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat, der gibt jenen auch an seine Kinder weiter. So kommt es, dass wir in Zeiten leben, in denen die radikale Privatheit, der Hedonismus des einzelnen, zur Religion erhoben wird, was in einem blinden Konsumismus gipfelt. Dieser bezieht sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche, alles wird konsumierbar, aufkündbar, sobald es kein individuelles Glücksmoment mehr verschafft, angefangen bei Beziehungen bis hin zu ArbeitsverhältnissenDas Konzept des unverbindlichen Glücks unerbittlich und um jeden Preis zu verfolgen, ist somit das ureigenste Ziele der jungen Leute. Dabei erliegen sie dem Irrglauben, sie hätten dieses Glück verdient, nur um ihrer selbst willen. Der Glücksoverkill soll dabei am besten 24 Stunden am Tag dauern.

Beziehung soll glücklich machen. Arbeit soll glücklich machen. Konsum soll glücklich machen. Und man mag schon fragen, welche Leere durch die Glücklich-Seins-Inflation überwunden werden muss, nur um sich der illusorischen Allmachtsphantasie des „What you see is what you get“ hinzugeben.

Vorbei die Zeiten, in denen die Stones feststellten, that „you cant’t always get what you want„. Unsere Kinder wissen, dass sie alles kriegen können, mehr noch: dass sie alles kriegen werden, dank der Hochglanz-Verheißungen im Prime-Time-TV, dank Sozialer Medien, die eigentlich unsozial sind, dank einer Pseudo-Realität und dem Faschismus der Verblendung.

So wird, ganz wie bei Instagram, für jeden Bedarf der passende Filter auf das Leben gelegt, mit dem Ziel, möglichst gut dabei auszusehen. Hauptsache glücklich.

Problematisch wird das Konzept des individuellen Glücks, das im quasi-uterinen Schutzraum des Elternhauses wurzelt, wenn es auf Gemeinschaft trifft. Denn dort entstehen, gerade in funktionellen Gruppen, Prozesse des Erleidens (Alfred Schütze et. al.), wenn es um Restrinktionen und um Empathie dem anderen gegenüber geht. Diese Prozesse werden umso mehr als zerstörerisch erlebt, als dass eine adäquate Strategie für sie nie gelernt und eingeübt werden konnte. Innerpsychisch bietet jener Sturz in eine Krise hinein genügend Nährboden für neurotische Konfliktverarbeitungen (Mentzos et. al.), die im Spannungsfeld zwischen egozentrischer Kindeswahrnehmung und gesellschaftlich erwarteten Normen zu finden sind.

Es bedarf der sprichwörtlichen Enttäuschung, um aus einem „Ich bin der Mittelpunkt der Welt“ ein „Wir“ werden zu lassen, das in der Lage ist, hinter die Fassade der mittels Kleinkrediten finanzierten Bling-Bling-Welt zu blicken und die Realität anzuerkennen. Nur auf diese Weise, durch eine sukzessive Sensibilisierung durch die Sozialisationsinstanzen, kann m. E. ein emanzipatorisches Potential entfaltet werden. Dazu gehören Lob, Empathie, aber auch das Aufzeigen und die Akzeptanz der eigenen Grenzen.

Wer echte Mündigkeit will, muss erkennen, dass Glück nicht für alle und jeden zu jeder Zeit zu haben ist. Es ist brüchig, näher als wir ahnen und weiter weg als wir wollen. Wer ihm um jeden Preis nachjagt, der wird es kaum bekommen, wer es sucht, wird es nicht finden. Und wer es als Selbstverständlichkeit betrachtet, wird erkennen, dass es alles andere als das ist!